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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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religiöse Gespräche so anstrengend sein müssen. Ich weiß: an diese Religion zu glauben ist schwer. Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben. Oft hatte Marie mir aus der Bibel vorgelesen. Es muß schwer sein, das alles zu glauben. Ich habe später sogar Kierkegaard gelesen (eine nützliche Lektüre für einen werdenden Clown), es war schwer, aber nicht anstrengend. Ich weiß nicht, ob es Leute gibt, die sich nach Picasso oder Klee Tischdeckchen sticken. Mir kam es an diesem Abend so vor, als häkelten sich diese fortschrittlichen Katholiken aus Thomas von Aquin, Franz von Assisi, Bonaventura und Leo XIII. Lendenschurze zurecht, die
    natürlich ihre Blöße nicht deckten, denn es war
    keiner anwesend (außer mir), der nicht mindestens seine fünfzehnhundert Mark im Monat verdiente. Es war ihnen selbst so peinlich, daß sie später zynisch und snobistisch wurden, außer Züpfner, den die ganze Geschichte so quälte, daß er mich um eine Zigarette bat. Es war die erste Zigarette seines Lebens, und er paffte sie unbeholfen vor sich hin, ich merkte ihm an, er war froh, daß der Qualm sein Gesicht verhüllte. Mir war elend, Maries wegen, die blaß und zitternd da saß, als Kinkel die Anekdote von dem Mann erzählte, der fünfhundert Mark im Monat verdiente, sich gut damit einzurichten verstand, dann tausend verdiente und merkte, daß es schwieriger wurde, der geradezu in große Schwierigkeiten geriet, als er zweitausend verdiente, schließlich, als er dreitausend erreicht hatte, merkte, daß er wieder ganz gut zurechtkam, und seine Erfahrungen zu der Weisheit formulierte: »Bis fünfhundert im Monat gehts ganz gut, aber zwischen fünfhundert und dreitausend das nackte Elend.« Kinkel merkte nicht einmal, was er anrichtete: er quatschte, seine dicke Zigarre rauchend, das Weinglas an den Mund hebend, Käsestangen fressend, mit einer olympischen Heiterkeit vor sich hin, bis sogar Prälat Sommerwild, der geistliche Berater des Kreises, anfing, unruhig zu werden, und ihn auf ein anderes Thema brachte. Ich glaube, er brachte das Stichwort Reaktion auf und hatte damit Kinkel an der Angel. Der biß sofort an, wurde wütend und hörte mitten in seinem Vortrag darüber, daß ein Auto für zwölftausend Mark billiger sei als eins für viertausendfünfhundert, auf, und sogar seine Frau, die ihn in peinlicher Kritiklosigkeit anhimmelt, atmete auf.

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    3

    Ich fühlte mich zum ersten Mal halbwegs wohl in dieser Wohnung; es war warm und sauber, und ich dachte, als ich meinen Mantel an den Kleiderhaken hängte und meine Guitarre in die Ecke stellte, darüber nach, ob eine Wohnung vielleicht doch etwas mehr als eine Selbsttäuschung ist. Ich bin nicht seßhaft, werde es nie sein - und Marie ist noch weniger seßhaft als ich, und scheint sich doch entschlossen zu haben, es endgültig zu werden. Sie wurde schon nervös, wenn ich an einem Ort einmal länger als eine Woche hintereinander engagiert war.
    Monika Silvs war auch diesmal so nett gewesen, wie sie immer war, wenn wir ihr ein Telegramm schickten; sie hatte sich vom Hausverwalter die Schlüssel besorgt, alles sauber gemacht, Blumen ins Wohnzimmer gestellt, den Eisschrank mit allem möglichen gefüllt. Gemahlener Kaffee stand in der Küche auf dem Tisch, eine Flasche Kognak daneben. Zigaretten, eine brennende Kerze neben den Blumen auf dem Wohnzimmertisch. Monika kann ungeheuer gefühlvoll sein, bis zur Sentimentalität, sie kann sogar Kitschiges tun; die Kerze, die sie mir da auf den Tisch gestellt hatte, war eine von den künstlich betropften und hätte die Prüfung durch einen »Katholischen Kreis für Geschmacksfragen« ganz sicher nicht bestanden, aber wahrscheinlich hatte sie in der Eile keine andere Kerze gefunden oder kein Geld für eine teure, geschmackvolle Kerze gehabt, und ich spürte, daß ge- rade dieser geschmacklosen Kerze wegen meine Zärtlichkeit für Monika Silvs sich bis nahe an den Punkt ausdehnte, wo meine unselige Veranlagung zur Monogamie mir Grenzen gesetzt hat. Die anderen Katholiken aus dem Kreis würden nie riskieren, kitschig oder sentimental zu sein, sie würden sich nie eine Blöße geben, jedenfalls eher in puncto Moral als in puncto Geschmack. Ich konnte sogar Monikas Parfüm, das viel zu herb und zu modisch für sie ist, irgendein
    Zeug, das, glaube ich, Taiga heißt, noch in der Wohnung riechen.

    Ich zündete mir an Monikas Kerze eine von Monikas Zigaretten an, holte den Kognak aus der Küche, das Telefonbuch aus der Diele und hob den
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