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Anne in Avonlea

Anne in Avonlea

Titel: Anne in Avonlea
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Garten gestellt und alles vorbereitet. Nichts hatte je so köstlich geschmeckt wie diese Erdbeeren mit Sahne, die sie unter dem weiten blauen Himmel mit den weichen weißen Wölkchen, den langen Schatten der Bäume und dem Lispeln und Rauschen des Windes aßen. Anschließend half Anne Charlotta in der Küche beim Abwasch, während Miss Lavendar mit Paul auf der Steinbank saß und seinen Geschichten über seine Felsen-Menschen zuhörte. Sie war eine gute Zuhörerin, die liebe Miss Lavendar. Doch dann fiel Paul auf, dass sie sich plötzlich nicht mehr für seine Zwillings-Segler interessierte.
    »Miss Lavendar, warum sehen Sie mich so an?«, fragte er ernst.
    »Wie sehe ich dich denn an, Paul?«
    »So, als würden Sie durch mich durch sehen und als würde ich Sie an jemand erinnern«, sagte Paul, der manchmal so unvermittelt geradezu unheimliche Erkenntnisse hatte, dass man in solchen Augenblicken besser keine Geheimnisse vor ihm hatte.
    »Du erinnerst mich an jemand, den ich vor langer Zeit einmal kannte«, sagte Miss Lavendar verträumt.
    »Als Sie jung waren?«
    »Ja, als ich jung war. Findest du mich sehr alt, Paul?«
    »Ich weiß nicht so recht«, sagte Paul vertraulich. »Ihre Haare wirken alt - ich habe noch nie jemand gekannt, der noch so jung war und schon weiße Haare hatte. Aber wenn Sie lachen, sind Ihre Augen so jung wie die von meiner Lehrerin. Wissen Sie was, Miss Lavendar?« Pauls Stimme und Miene waren so ernst wie die eines Richters. »Sie wären bestimmt eine prima Mutter. Ihre Augen haben genau den passenden Ausdruck dafür - wie bei meiner Mutter. Ich finde es schade, dass Sie keine eigenen Jungen haben.«
    »Ich habe einen kleinen Traumjungen, Paul.«
    »Oh, wirklich? Wie alt ist er?«
    »Ungefähr so alt wie du. Eigentlich müsste er schon älter sein, denn ich habe ihn mir erträumt, lange bevor du geboren wurdest. Aber ich lasse ihn nicht älter als elf, zwölf Jahre werden. Sonst wäre er nämlich plötzlich erwachsen und dann würde ich ihn verlieren.«
    »Ich verstehe«, nickte Paul. »Das ist das Schöne an Traum-Menschen -sie bleiben so alt, wie man möchte. Sie, meine liebe Lehrerin und ich sind die Einzigen auf der Welt, die ich kenne, die Traum-Menschen haben. Ist es nicht lustig und herrlich, dass wir uns kennen gelernt haben? Aber ich glaube, solche Leute finden zueinander. Großmutter hat keine Traum-Menschen, Mary hält mich wegen meiner Traum-Menschen sogar für nicht ganz richtig im Kopf. Aber mir gefällt es. Sie verstehen schon, Miss Lavendar. Erzählen Sie mir von Ihrem Traumjungen.«
    »Er hat blaue Augen und einen Lockenkopf. Er kommt jeden Morgen in mein Zimmer gehuscht und weckt mich mit einem Kuss. Dann spielt er den ganzen Tag hier im Garten und ich spiele mit ihm. Alles Mögliche. Wir machen Wettrennen, reden mit dem Echo und ich erzähle ihm Geschichten. Wenn es dunkel wird ...«
    »Ich weiß schon«, unterbrach Paul ungeduldig. »Dann kommt er her und setzt sich neben Sie, so, weil er mit zwölf natürlich viel zu alt ist, um auf Ihren Schoß zu klettern. Er lehnt den Kopf an Ihre Schulter, so. Sie legen den Arm um ihn, halten ihn fest, ganz fest und legen Ihre Wangen an seinen Kopf, ja, genau so. Oh, Sie verstehen das, Miss Lavendar.«
    Anne kam aus dem Haus und sah die beiden dort sitzen. Als sie Miss Lavendar betrachtete, tat es ihr Leid, die beiden stören zu müssen. »Ich fürchte, Paul, wir müssen gehen, wenn wir vor Anbruch der Dunkelheit zu Hause sein wollen. Miss Lavendar, ich möchte mich demnächst für eine Woche nach Echo Lodge einladen.«
    »Ich werde dich zwei dabehalten«, drohte Miss Lavendar.

28 - Der Prinz kehrt zurück in das Zauberschloss
    Der letzte Schultag brach an. Die »Halbjahres-Prüfung« wurde abgehalten, bei der Annes Schüler glänzend abschnitten. Bei Schulabschluss überreichte man ihr eine Dankschrift. Alle anwesenden Mädchen und Damen weinten. Einige der Jungen hatten später auch geweint, obwohl sie es abstritten.
    Mrs Harmon Andrews, Mrs Peter Sloane und Mrs William Bell gingen zusammen nach Hause und beredeten das Ganze noch einmal.
    »Was für ein Jammer, dass Anne fortgeht, wo die Kinder so an ihr hängen«, seufzte Mrs Sloane, die bei allem und jedem seufzte und selbst ihre Witze mit einem Seufzer beendete. »Sicher«, fügte sie schnell hinzu, »im nächsten Schuljahr bekommen wir auch eine gute Lehrerin.«
    »Jane wird gewissenhaft ihre Arbeit tun«, sagte Mrs Andrews ziemlich scharf. »Gewiss wird sie den Kindern nicht
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