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Anne auf Green Gables

Anne auf Green Gables

Titel: Anne auf Green Gables
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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Mrs Rachel Lynde, die gerade bei den Barrys zu Besuch war, nach Green Gables hinüber. Dort waren Anne und Marilla verzweifelt darum bemüht, Matthew wieder ins Bewusstsein zurückzuholen.
    Mrs Lynde schob die beiden sanft beiseite, fühlte nach Matthews Puls und legte ihr Ohr auf seine Brust. Tränen stiegen ihr in die Augen. »Ich glaube nicht, dass wir noch etwas für ihn tun können«, sagte sie ernst.
    »Mrs Lynde, Sie meinen doch nicht etwa ... Sie können doch nicht glauben, dass Matthew...«Anne war nicht in der Lage, die furchtbaren Worte auszusprechen. Sie wurde kreidebleich.
    »Doch, mein Kind, ich bin mir ganz sicher. Sieh dir sein Gesicht an. Wenn man diesen Blick sooft gesehen hat wie ich in meinem Leben, dann weiß man, was er zu bedeuten hat.«
    Anne schaute Matthew an. Ja, es war der Tod, der dieses Gesicht gezeichnet hatte.
    Wie der Doktor später erklärte, musste er schnell und schmerzlos eingetreten sein und war höchstwahrscheinlich durch einen plötzlichen Schock ausgelöst worden. Das Geheimnis enthüllte sich bald: Matthew hielt immer noch einen Brief in der Hand, den Martin am Morgen von der Post mitgebracht hatte. Die Abbey-Bank hatte Konkurs angemeldet.
    Die Nachricht von Matthews Tod verbreitete sich schnell in Avonlea. Alle Bekannten, Freunde und Nachbarn kamen nach Green Gables, um Marilla ihr Beileid auszusprechen und von Matthew Abschied zu nehmen. Zum ersten Mal stand der scheue, stille Matthew Cuthbert im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.
    Als sich die Nacht über Green Gables senkte, herrschte im ganzen Haus trauriges Schweigen. Im Salon lag Matthew Cuthbert in einem offenen Sarg. Sein langes graues Haar umrahmte sein friedliches Gesicht, auf dem ein mildes Lächeln lag. Es war, als schliefe und träumte er nur. Um ihn herum lagen Blumen verstreut - süß duftende kleine Rosen, die seine Mutter während ihrer Brautzeit im Garten gepflanzt hatte. Anne wusste, dass Matthew diese Rosen immer ganz besonders geliebt hatte. Mit brennenden, tränenlosen Augen hatte sie sie für ihn gepflückt - das war alles, was sie noch für ihn tun konnte. Die Barrys und Mrs Lynde blieben den ganzen Abend über auf Green Gables. Diana ging in den Ostgiebel hinauf, wo Anne schweigend am Fenster stand.
    »Liebe Anne, möchtest du, dass ich heute Nacht bei dir schlafe?«
    »Vielen Dank, Diana.« Anne sah ihre Freundin ernst an. »Ich weiß, du wirst mich nicht missverstehen, wenn ich dir sage, dass ich lieber alleine bleiben möchte. Ich habe keine Angst. Seitdem es passiert ist, bin ich keine einzige Minuten zur Ruhe gekommen und ich sehne mich so danach. Ich möchte ganz still sein und versuchen zu verstehen, dass es tatsächlich wahr ist. Das ist das Schwierigste von allem. Matthew kann doch nicht einfach tot sein! Und dann wieder kommt es mir vor, als wäre er schon lange, lange tot und der Schmerz in meiner Brust währt bereits eine ganze Ewigkeit.«
    Diana konnte Anne nicht ganz folgen. Marillas leidenschaftliche Trauer, die alle Bande ihrer sonstigen Zurückhaltung brach, war ihr leichter verständlich als Annes starre, tränenlose Qual. Doch sie zog sich still zurück und überließ Anne der Einsamkeit, die sie sich gewünscht hatte.
    Anne hatte gehofft, dass ihre Tränen sich endlich lösen würden, wenn sie allein wäre. Es kam ihr so schrecklich vor, dass sie nicht eine Träne für Matthew vergießen konnte. Sie hatte ihn so sehr geliebt, er war immer so gut zu ihr gewesen! Am vorigen Abend noch waren sie zusammen zur Weide gegangen - und jetzt lag er tot im Zimmer unter ihr! Doch Anne konnte nicht weinen. Der Schmerz schnürte ihr die Kehle zu und verzweifelte Gedanken quälten sie, bis sie schließlich vor Erschöpfung einschlief.
    Mitten in der Nacht wachte sie wieder auf. Das Haus lag in tiefem Schweigen, um sie war alles finster. Die Erinnerung an die traurigen Ereignisse des Vortages überschwemmten sie wie eine große Welle. Sie sah Matthew vor sich, wie er sie am Abend zuvor sanft angelächelt hatte. Sie hörte ihn sagen: »Mein Mädchen - mein Mädchen, auf das ich stolz bin.« Endlich wollten ihre Tränen fließen und sie begann bitterlich zu weinen.
    Marilla, die sie gehört hatte, kam nun leise herein, um Anne zu trösten. »Komm, komm, weine nicht, mein Liebes. Deine Tränen können Matthew ja doch nicht wieder lebendig machen.«
    »Bitte, Marilla, lass mich weinen«, schluchzte Anne. »Die Tränen tun längst nicht so weh wie dieser furchtbare Schmerz. Bleib doch ein
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