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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Autoren: George Neblin
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inzwischen einen merklichen Whiskey-Geruch angenommen hatte, zumindest dazu bewegen, eine Ladung Pfefferminzbonbons einzuwerfen.
    Um 11.33 Uhr betraten Jack und ich den großen Besprechungsraum.
    In den mit rotem Leder bezogenen Ray & Charles Eames-Aluminium-Sesseln des riesigen Konferenztisches hatten auf der Seite, die der Fensterwand gegenüberliegt, sieben Herren Platz genommen:
    Royce DeVere, ein hochmütig drein blickender Mann mit Halbglatze und konturlosen Gesichtszügen, trug einen dunkelblauen Dreiteiler mit kräftigem Kreidestreifen, ein weißes Hemd mit Tabkragen, eine leuchtend violette Krawatte und ein ebenso violettes Einstecktuch mit Muster. Die Weste spannte über seinem ausladend nach vorn gewölbten Bauch. An seinem vergleichsweise schlanken Handgelenk prangte ein bombastischer Portugieser.
    Rechts von DeVere saß A. J. Dillinger, sein Stabschef, links von ihm Henry Fillwater, der Leiter der Steuerabteilung von Magnon, und dessen Assistent, der die Sitzung protokollieren sollte. Janet, DeVeres 23-jährige Assistentin saß mit Margery an der Wand des Raumes, die parallel zur rechten Kopfseite des Tisches verlief, wo sie ebenfalls Notizen machen und sich zur sonstigen Verfügung halten würden.
    Neben Dillinger hatten zwei weitere Herren Platz genommen, die sich mit süffisantem Lächeln als Bernard St.Clair und Philipp Thomson vorstellten und Abgesandte von Baker & Butcher waren.
    „Sie haben doch nichts gegen ein bisschen Tabakrauch?“, fragte DeVere selbstgefällig, nachdem die Vorstellungsrunde beendet war, und ließ sich, ohne eine Antwort abzuwarten, von Dillinger eine dicke, vermutlich kubanische Zigarre anstecken.
    „Dann legen Sie mal los, Davis.“
    Und Jack legte los.
    Das war sein erster Fehler.
    Eigentlich war ich für den Vortrag und Jack für die Zusammenfassung und weitere Besprechung vorgesehen. Unser Konzept betraf Fragen der Gewinnverlagerung in niedrig besteuerte Länder über den Abschluss von Darlehens- und Lizenzverträgen, die Gründung neuer Gesellschaften, die Verschmelzung, Spaltung oder sonstige Umstrukturierung bestehender Gesellschaften. Es beinhaltete Themen wie Funktionsverlagerungen und Verrechnungspreise.
    Die Anwesenheit von St.Clair und Thomson hatte uns überrascht und diese Überraschung dürfte durchaus beabsichtigt gewesen sein. Es zeugte von Respekt für unsere Fähigkeiten und gleichzeitig von einem Mangel an Taktgefühl, dass die beiden sich nicht angekündigt hatten.
    Der Überraschungsangriff schien von Erfolg gekrönt zu sein, denn ich musste feststellen, dass Jack den eigentlichen Adressaten der Präsentation vollkommen aus den Augen verlor. Er erläuterte unseren Gestaltungsvorschlag ungeachtet seines alkoholisierten Zustandes und ohne für längere Zeit auf unsere schriftlichen Ausarbeitungen sehen zu müssen in einer derartigen Detailtiefe und Geschwindigkeit, dass selbst ich, der ich das Konzept ja kannte und maßgeblich mit erarbeitet hatte, zeitweise nur mit Mühe folgen konnte. An einigen Stellen holte Jack gar zur Ausbreitung von Kontroversen in Literatur und Rechtsprechung und kritischen Vergleichen der Rechtslage in den betroffenen europäischen Ländern aus, die jeden Fachmann in unserer Runde nur mit ehrfürchtigem Staunen zurücklassen konnten.
    Die Zuhörer indessen zeigten alles andere als das.
    Royce DeVere hatte während der ersten zehn Minuten des Vortrags noch genüsslich seine Zigarre konsumiert und sich bemüht, Jack wenigstens in groben Zügen zu folgen. Nach weiteren zehn Minuten war jegliche Aufmerksamkeit für Jacks Worte aus seinem Gesichtsausdruck verschwunden. Ich musste mit wachsender Unruhe feststellen, wie sein Blick zwischen dem Ausblick über Boston, den die hohen Fenster boten, und dem Anblick der langen, schlanken Beine seiner – wie ich gehört hatte, neuen - Assistentin hin und herwanderte, den ein bemerkenswert kurzer hellgrauer Rock bot. Während der kommenden Viertelstunde wurde DeVeres Verweildauer bei Janets Beinen stetig länger und sein Gesichtsausdruck entrückter.
    Ich versuchte mehrfach, Jack auf DeVere aufmerksam zu machen, aber dieser richtete seine Rede, die an Geschwindigkeit eher noch zu- als abnahm, unbeirrbar an Dillinger, Fillwater und die beiden Anwälte, aus deren Gesichtern keineswegs die Anerkennung sprach, die Jack sich erhoffte und die seine Erläuterungen in fachlicher Hinsicht verdienten. Im Gegenteil:
    St.Clair und Thomson zeigten kühle Ausdruckslosigkeit, Fillwater Ablehnung und
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