Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
Bienenwärter wieder als Antwort auf einen Blick, der sich
    zufällig auf ihn richtete.
    »Nein, liebster Freund, Sie sind geschlagen, geschlagen, völlig geschlagen!« rief Katawasow vergnügt.
    Ljewin wurde ganz rot vor Ärger, nicht darüber, daß er angeblich geschlagen war, sondern darüber, daß er sich
    nicht hatte beherrschen können und sich auf eine Auseinandersetzung eingelassen hatte.
    ›Nein, ich kann nicht mit ihnen streiten‹, dachte er. ›Sie haben einen undurchdringlichen Panzer an, und ich bin
    nackt.‹
    Er erkannte, daß sein Bruder und Katawasow nicht zu überzeugen waren, und sah noch weniger eine Möglichkeit,
    ihnen zuzustimmen. Was sie predigten, war derselbe Hochmut des Verstandes, der ihn selbst beinahe zugrunde
    gerichtet hätte. Er konnte einigen Dutzend Menschen, zu denen auch sein Bruder gehörte, nicht das Recht zuerkennen,
    nach dem, was ihnen ein paar hundert nach der Hauptstadt gekommene großmäulige Freiwillige erzählt hatten, zu
    behaupten, daß sie und die Zeitungen den Willen und die Meinung des Volkes zum Ausdruck brächten, und zwar eine
    Meinung, die auf Rache und Morden abzielte. Ein solches Recht konnte er ihnen nicht zuerkennen, weil ihm aus dem
    Volke, in dessen Mitte er lebte, keine Äußerung dieser Meinung entgegentrat und er diese Meinung auch in seinem
    eigenen Innern nicht vorfand (und er konnte sich doch für nichts anderes halten als für einen der Menschen, die
    zusammen das russische Volk bildeten), und namentlich weil er, ebenso wie das Volk, zwar nicht wußte und nicht
    wissen konnte, worin das Gemeinwohl bestehe, aber so viel mit aller Sicherheit wußte, daß die Erreichung dieses
    Gemeinwohls nur durch strenge Erfüllung jenes allen Menschen geoffenbarten Gesetzes des Guten möglich sei, und weil
    er aus diesem Grunde außerstande war, einen Krieg herbeizuwünschen und andere zum Kriege aufzufordern, was auch
    immer dessen Ziele für die Gesamtheit sein mochten.
    Mit dem alten Bienenwärter Michailütsch und mit dem Volke, das der Überlieferung zufolge seine Meinung bei der
    Herbeirufung der Waräger ausgesprochen hatte, sagte auch Ljewin: »›Seid unsere Fürsten und herrscht über uns.
    Freudig geloben wir euch völligen Gehorsam. Alle Arbeit, alle Erniedrigung, alle Opfer nehmen wir auf uns; aber
    richten und beschließen, das möge nicht unsere Sache sein.‹ Und jetzt hatte nun, nach Sergei Iwanowitschs
    Behauptungen, das Volk auf dieses so teuer erkaufte Recht, aller Beschlußfassung überhoben zu sein,
    verzichtet?«
    Gern hätte er noch folgendes gesagt: ›Wenn die Meinung der Bevölkerung ein unfehlbarer Richter ist, warum werden
    dann Revolution und Kommune nicht für ebenso gesetzlich erachtet wie die Bewegung zugunsten der slawischen Brüder?‹
    Aber all das waren Gedanken, durch die doch keine Entscheidung der Streitfrage herbeigeführt werden konnte. Eines
    aber erkannte er mit Sicherheit: daß sich Sergei Iwanowitsch in diesem Augenblicke durch den Streit in gereizter
    Stimmung befand und deshalb eine Fortsetzung der Auseinandersetzung bedenklich war. So schwieg Ljewin denn und
    lenkte die Aufmerksamkeit seiner Gäste darauf hin, daß die Wolken sich zusammengezogen hatten und es wegen des zu
    erwartenden Regens geraten sei, nach Hause zurückzukehren.

17
    Der Fürst und Sergei Iwanowitsch stiegen in das Wägelchen und fuhren ab; die übrige Gesellschaft wanderte zu Fuß
    mit beschleunigtem Schritt nach Hause.
    Aber die teils weiß, teils schwarz aussehende Gewitterwolke rückte so schnell heran, daß man noch schneller
    gehen mußte, um noch vor dem Regen nach Hause zu kommen. Der Hauptwolke voran zogen kleinere, niedrig gehende
    Wolken, schwarz wie mit Ruß vermischter Rauch, und liefen mit gewaltiger Schnelligkeit über den Himmel dahin. Bis
    zum Hause fehlten noch zweihundert Schritt, und schon hatte sich der Wind erhoben, und jeden Augenblick war ein
    furchtbarer Regenguß zu erwarten.
    Die Kinder liefen mit ängstlichem, freudigem Gekreische voraus.
    Darja Alexandrowna, mühsam mit ihren Röcken kämpfend, die sich ihr eng um die Beine legten, ging schon nicht
    mehr, sondern lief und hatte dabei immer ihre Augen auf die Kinder gerichtet. Die Herren hielten ihre Hüte fest und
    gingen mit großen Schritten. Sie waren bereits dicht an der Haustür, als ein großer Tropfen auf den Rand der
    blechernen Dachrinne niederschlug und auseinanderspritzte. Die Kinder und ihnen folgend die Erwachsenen liefen mit
    fröhlichen Scherzworten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher