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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
Autoren: Alexandra Marinina
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Angeboten, ihre materielle Lage zu verbessern, mangelte es Ljuba nicht, aber sie konnte sich nicht dazu überwinden, obwohl es Momente gab, in denen sie es ernsthaft in Erwägung zog. Sie redete sich ein, dass es sich nicht um Prostitution handelte, sondern um ein aus der Not geborenes Übel, aber beim Gedanken an die behaarten, verschwitzten Türken mit den fettigen Äuglein und krummen Beinen wurde ihr übel. Warum machten sich nur solche Männer an sie heran? Es gab doch schöne, groß gewachsene, schlanke junge Türken mit muskulösen Beinen und großen leuchtenden Augen, die von unwahrscheinlich langen Wimpern umrahmt waren. Hätte sie ihr materielles Wohl in die Hände eines solchen Adonis legen müssen, wäre es einfacher gewesen, sich zu überwinden. Zumindest wäre es nicht ganz so widerwärtig gewesen, irgendwie hätte sie es ausgehalten.
    Die Tage und Wochen zogen sich hin. Von Mittag bis Mitternacht immer dasselbe: Guten Tag, beehren Sie uns mit Ihrem Besuch. Wir haben immer frischen Fisch auf der Speisekarte, Garnelen, Hummer und andere Meeresfrüchte. Außerdem Kebab . . . Entschuldigen Sie, alles Gute. Ich hoffe, Sie schauen doch noch bei uns herein . . . Eine klägliche, bettelnde, erniedrigte Stimme, und Ljuba selbst ein klägliches, erniedrigtes Wesen, während ihre Landsleute vergnügt, glücklich und strotzend vor Gesundheit an ihr vorübergingen und bestenfalls einen mitleidigen Blick für sie übrig hatten, wie für einen herrenlosen Hund, den man zwar bedauerte, aber nie nach Hause mitnehmen würde. Es war glühend heiß und unerträglich schwül, die Urlauber liefen in Badeanzügen oder bestenfalls in Shirts und kurzen Hosen herum, aber Ljuba musste immer in voller Montur erscheinen. Bluse, Rock und hochhackige Sandaletten, die gnadenlos an den von der Hitze geschwollenen Füßen scheuerten. Von den Gerüchen, die sie aus der Küche erreichten, wurde ihr schwindelig, weil sie ständig hungrig war. Aber davon konnte sie ihrem Chef nichts sagen. Er hätte ihre Verköstigung zwar verbessert, aber natürlich nur auf ihre eigene Rechnung. Statt fünfzehn hätte er dann zwanzig Dollar pro Tag von ihrem Verdienst abgezogen, und sie hätte allein für Essen und Trinken zwanzig Personen pro Tag ins Restaurant schleppen müssen. Da war es besser, den Hunger auszuhalten. Um Mitternacht wurde das Dupont geschlossen, und Ljuba trottete dorthin, wo sie ihren Schlafplatz hatte. Es war nur ein Winkel in einem Zimmer, das sie mit vier türkischen Studentinnen teilte. Zu fünft drängten sie sich in dem engen Verschlag, der keine Klimaanlage hatte, sondern nur eine winzige Luke irgendwo unter der Decke. Es fehlte die Luft zum Atmen, ihr ganzer Körper war bedeckt mit klebrigem Schweiß, erst gegen Morgen, wenn es etwas kühler wurde, fiel Ljuba in einen kurzen, betäubten Schlaf. Um sieben Uhr standen die Studentinnen auf, obwohl sie erst um neun Uhr zu arbeiten anfingen und keinen weiten Weg hatten, aber sie machten sich immer lange Zeit zurecht. Im Haus gab es nur eine einzige, mit einer Dusche kombinierte Toilette, die von allen fünfzehn Hausbewohnern benutzt wurde, die Familie des Hauswirts eingeschlossen. Um sich zu duschen, musste man immer anstehen. Wenn die Studentinnen gegangen waren, konnte Ljuba nicht mehr einschlafen, weil das Haus sich mit den Stimmen der inzwischen aufgewachten Kinder füllte und weil es schon wieder heiß wurde. Und um zwölf Uhr musste sie wieder vor dem Restaurant stehen. Jeden Tag bis Mitternacht.
    Das war im Grunde die ganze Geschichte . . .
    * * *
    In dem schönen, mondänen Kemer hatte Ljuba sich geschworen, niemandem von ihrer Zeit in der Türkei zu erzählen, um sich nicht erneut gedemütigt und verraten zu fühlen und Mitleid auf sich zu ziehen. Doch jetzt hatte sie ihre ganze Leidensgeschichte Larissa Tomtschak erzählt, und sie fühlte kein Bedauern. Es war, als sei das alles gar nicht ihr passiert, als hätte sie einfach die Geschichte irgendeiner anderen Person erzählt, die sie in einem Buch gelesen oder von einem Mitreisenden gehört hatte. Larissa hatte ihr aufmerksam zugehört, ohne sie zu unterbrechen. Erst jetzt fragte sie:
    »Willst du das alles wirklich auf sich beruhen lassen?«
    »Was alles?«, fragte Ljuba müde zurück.
    »Das, was deine Freundin und dein Freund dir angetan haben. Mila hat dich verraten und allein und mittellos in einem fremden Land zurückgelassen. Und dann hat sie sich mit Strelnikow zusammengetan. Und auch Strelnikow hat dich
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