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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
Autoren: Alexandra Marinina
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schwieg düster. Sie befanden sich in einer Lage, in der sie völlig rechtlos waren. Das Touristenvisum, für das sie bei ihrer Ankunft in Antalya zehn Dollar bezahlt hatten, galt nur einen Monat, und dieser Monat war bereits vor zwei Wochen abgelaufen. Um irgendwelche Rechte geltend machen zu können, brauchten sie ein neues Visum, und das war viel teurer als das erste. Sie konnten sich nicht an die Polizei wenden, da sie keine Arbeitserlaubnis in der Türkei hatten. Sie hatten überhaupt nichts.
    Am nächsten Morgen gingen sie wieder zur Arbeit. Ljuba war der Meinung, dass es so besser war, dass sie ihren Chef nicht verärgern sollten. Blieben sie von der Arbeit weg, würde er sie zwar vielleicht für den vergangenen Mo-nat bezahlen, aber bestimmt nicht für einen weiteren behalten. Bis zum Mittag hatte Ljuba es bereits geschafft, fünf Hotelgäste durchzukneten, dann schloss sie den Massageraum ab und klopfte an der Nachbartür, hinter der Mila arbeitete. Es war Zeit, zum Chef zu gehen. Aber die Tür war abgeschlossen. Ljuba rüttelte an der Klinke und rief einige Male den Namen ihrer Freundin. Sie kannte ihren Charakter und war deshalb überzeugt davon, dass Mila hinter dieser Tür nicht nur medizinische Massagen verabreichte. Aber es blieb völlig still, und Ljuba begriff, dass Mila tatsächlich nicht da war.
    Ljuba ging hinauf in das Büro des Hotelbesitzers. Die Sekretärin im Vorzimmer warf ihr einen mitleidigen und irgendwie schlüpfrigen Blick zu, unter dem Ljuba unwohl wurde.
    »Der Chef ist nicht da«, sagte sie, und Ljuba schien, dass sie sich nur mit Mühe ein anzügliches Grinsen verkniff.
    »Wann kommt er zurück?«
    »Morgen.«
    »Aber er hat uns für heute herbestellt. Er muss uns unser Gehalt bezahlen.«
    »Er hat bereits bezahlt«, erwiderte die Sekretärin und versuchte nun nicht mehr, ihr anzügliches Grinsen zu verbergen.
    Ljuba stürzte Hals über Kopf zum Nachbardorf, wo sie mit Mila zur Untermiete in einem Zimmer wohnte. Sie riss die Tür auf und erblickte sofort ihre Freundin, die gerade dabei war, ihre Sachen zusammenzupacken.
    »Hat er bezahlt?«, fragte sie atemlos und hoffnungsvoll
    Ohne ihre Beschäftigung zu unterbrechen, hob Mila ihre kalten blauen Augen und sah ihre Freundin an.
    »Mich hat er bezahlt.«
    »Was heißt das?«, fragte Ljuba verständnislos. »Und was ist mit mir?«
    »Dich hat er nicht bezahlt.«
    »Wieso das?«
    »Weil du die Unschuld vom Lande spielst. Bist du etwa ein kleines Kind und weißt nicht, wie man hier Geld verdient?«
    Ljuba ließ sich kraftlos auf einen Stuhl fallen. Erst jetzt spürte sie, wie ihr Herz nach dem schnellen Laufen in der Mittagshitze klopfte.
    »Und du hast ihm gegeben, was er haben wollte?«
    »Ja, meine Liebe, ich habe es ihm gegeben, und nicht nur einmal, sondern schon den ganzen Monat lang, jeden Tag, den Gott schuf. Und dafür hat er mich bezahlt. Wenn du etwas schlauer wärst, hättest du jetzt auch das Geld in der Tasche. Aber so kannst du hier sitzen bleiben und am Daumen lutschen.«
    »Aber ich habe doch gearbeitet!«, rief Ljuba verzweifelt aus. »Ich habe geschuftet wie ein Pferd! Denkst du etwa, ich habe keine Augen im Kopf? Ich habe jeden Tag fünfzehn bis zwanzig Massagen gemacht und du höchstens sechs. Ich habe es gezählt. Wir hatten hier ein gemeinsames Arbeitspensum, aber ich habe dreimal mehr gemacht als du, weil du es außerdem noch mit deinen Kunden getrieben hast. Ich weiß das, weil man durch die Wand alles hört. Zu dir sind nur Männer gekommen, und sie wussten, warum sie das taten.«
    Mila zog mit einer entschlossenen Bewegung den Reißverschluss ihrer Tasche zu und warf den Riemen über die Schulter.
    »Ja, ich habe es auch mit meinen Kunden getrieben. Mit meinen Kunden und mit dem Chef. Und so habe ich Geld verdient. Während du leer ausgegangen bist. Jeder verdient, wie er kann. Als der Chef uns am ersten Abend ein Angebot machte, hätte sich alles zum Besten wenden können. Wenn du nicht so eine dumme Gans wärst und dich nicht so geziert hättest, hätten wir hier leben können wie die Maden im Speck. Aber dazu hätten wir zu zweit sein müssen, verstehst du? Wir hätten gemeinsame Sache machen müssen. Prostituierte gibt es hier wie Sand am Meer, unter anderem auch aus Russland, aber die interessieren niemanden mehr. Jetzt sind nur noch gute Gruppen gefragt. Aber mit deinen blöden Prinzipien hast du uns alles verdorben, hast selbst nichts verdient und auch mir alles vermasselt. Das war’s, mach’s
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