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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
Autoren: Alexandra Marinina
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meinem Büro und lassen sie so lange schmoren, bis sich ihre geheimen Beziehungen und Konflikte offenbaren.«
    »Wie Sie meinen.«
    Nastja legte den Hörer auf und starrte, ohne etwas zu sehen, aus dem Fenster. Olschanskijs Idee gefiel ihr nicht, sie gefiel ihr ganz und gar nicht. Aber sie hatte nicht mit ihm diskutieren wollen, ganz einfach deshalb, weil sie keinen besseren Vorschlag hatte. Ja, die Methode des »Sturmangriffs« war seit langem bekannt, aber man musste einen besonderen Charakter haben, um sie anzuwenden. Wenn sich auf dem engen Raum eines Zimmers Menschen mit konträren Interesse versammelten, Menschen, die etwas zu verbergen hatten und nicht wollten, dass die Wahrheit ans Licht kam, war die Gefahr groß, dass Streit ausbrach. Es konnte passieren, dass die Leute hysterisch wurden, sich anschrien, in Tränen ausbrachen, sich gegenseitig beleidigten und an die Kehle gingen. Sogar Herzanfälle kamen in solchen Situationen vor. Und ein Untersuchungsführer, der so ein Zusammentreffen inszenierte, musste ein sehr guter Regisseur sein, um das gesamte Geschehen und jede einzelne Figur genau im Auge zu behalten. Er musste in der Lage sein, das Orchester so zu dirigieren, dass keine Kakophonie dabei herauskam, sondern ein Finale mit einem klaren Schlussakkord. Vielleicht konnte Konstantin Michailowitsch das alles. Aber was, wenn er es nicht konnte? Was, wenn die von ihm geplante Veranstaltung mit nichts anderem als mit Gezänk und wüstem Geschrei enden würde? Nach dem so genannten Sturmangriff gab es kein Zurück mehr. Man hatte die Beteiligten miteinander konfrontiert, und wenn die Inszenierung misslang, konnte man die Hoffnung auf eine baldige, erfolgreiche Aufklärung des Falles begraben.
    Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Nastja löste sich aus ihrer Erstarrung und machte sich missmutig auf den Weg zu Oberst Gordejew, ihrem Chef.
    »Du kennst Kostja nicht«, sagte dieser, nachdem Nastja ihn in ihre Zweifel eingeweiht hatte. »Er lässt in seinem Büro keine Händel zu, so etwas unterbindet er sofort. Wirst du selbst auch an der Veranstaltung teilnehmen?«
    »Was bleibt mir anderes übrig, zumal Olschanskij es so will. Aber mir liegt so etwas nicht, Viktor Alexejewitsch. Ich mag keine . . .«
    »Lass gut sein«, unterbrach sie der Oberst, »behalte es für dich. Alle wissen, was du magst und was du nicht magst. Ginge es nach dir, würdest du dein Leben lang mit deinen Papieren und Zahlen in einer stillen Ecke sitzen und Ränke schmieden. Aber so funktioniert das nicht, Nastja, manchmal muss man mit offenen Karten spielen. Nicht jeder kann mit einer schweren Konfliktsituation umgehen. Du würdest es nicht können. Aber Kostja ist anders. Er schert sich nicht um die Gefühle anderer.«
    Wahrscheinlich hat Gordejew Recht, dachte Nastja, während sie in ihr Büro zurückging. Es gab Menschen, die sich die Gefühle anderer »einfingen« wie einen Grippevirus während einer Epidemie. Sie ließen sich sofort von deren Nervosität anstecken und in ihre Auseinandersetzungen hineinziehen. Allerdings war das ein Typ Mensch, der sich auch von positiven Gefühlen anstecken und sich aufrichtig mit anderen freuen konnte. Es gab auch solche, die auf Konflikte in ihrem Umfeld mit Rückzug reagierten, sie konnten sich abschirmen und schützen, aber das beraubte sie auch der Möglichkeit, positiv in einen Konflikt einzugreifen. Offenbar gehörte Olschanskij weder zur ersten noch zur zweiten Kategorie. Er stand über den Dingen und sah von oben auf die Streithähne herab, er konnte einen Konflikt in Grenzen halten und so dirigieren, dass größtmöglicher Nutzen für die Wahrheitsfindung entstand. Hoffentlich war es tatsächlich so.
    * * *
    Kolja Selujanow hatte seinen Beobachtungsposten vor dem Haus bezogen, in dem Strelnikow junior wohnte. Dieser war vor etwa einer Stunde zusammen mit seiner Freundin aufgetaucht, und Kolja stellte sich auf eine lange Wartezeit ein. Vor zehn Uhr würden die beiden das Haus wahrscheinlich nicht wieder verlassen. Er beobachtete das Paar seit dem gestrigen Tag und konnte sich nicht genug darüber wundern, wie wenig die beiden zusammenpassten. Der langhaarige, jämmerliche Sascha, der keiner Arbeit nachging, kein Geld verdiente und überhaupt nichts besaß außer einer eigenen Bude, und die groß gewachsene, attraktive, gut bezahlte Referentin einer soliden Firma, die ein teures ausländisches Auto fuhr. Was konnten die beiden gemeinsam haben? Nur die unstillbare Leidenschaft für
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