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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
Autoren: Alexandra Marinina
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verlieren. Igor und Surik hörten aufmerksam zu, es war immer sehr interessant für sie, Artjoms Ausführungen zu folgen. Vor ihrem geistigen Auge setzten sich die scheinbar unzusammenhängenden Fakten zu einem klaren und verständlichen Bild zusammen. Artjom war zwar nur ein Amateur, aber er hatte Köpfchen, das mußte man ihm lassen.
    »Da jetzt der Mord an einem Milizionär und vielleicht auch der Mord an Berkowitsch auf unser Konto gehen, schlage ich vor, daß wir uns eine Zeitlang aus dem Geschäft zurückziehen. Unsere Klienten werden Verständnis für unsere Lage aufbringen, wie ich hoffe. Von heute an müssen wir unsere ganze Aufmerksamkeit der unbekannten Frau widmen, um herauszufinden, wer unsere Konkurrenten sind. Dann werden wir weitersehen.«

ZWEITES KAPITEL
    1
    Nastja Kamenskaja betrachtete voller Neugier ihren Gast. Sieh an, dachte sie belustigt, das unbekannte Brüderlein erweist mir die Ehre. Ich wette, er hat irgendeine dumme Geschichte am Hals. Soviel ihr bekannt war, war er Direktor oder sogar Präsident einer Aktiengesellschaft, offenbar einer der jungen russischen businessmen. Wahrscheinlich ging es um irgendwelche erpresserischen Machenschaften oder um einen Kreditbetrug.
    Als Nastjas Eltern sich scheiden ließen, war sie gerade ein Jahr alt. Ihr eigentlicher Vater war der zweite Mann ihrer Mutter, schon als Kind liebte sie ihn heiß und innig und sagte Papa zu ihm. Mit ihrem leiblichen Vater telefonierte sie in regelmäßigen Abständen, aber sie sah ihn nur selten. Als Sascha geboren wurde, der Sohn des Vaters aus zweiter Ehe, war Nastja acht Jahre alt. Sie hatte sich nie für ihren Halbbruder interessiert, hatte ihn nie im Leben gesehen und den Vater immer nur aus Höflichkeit nach ihm gefragt. Und heute hatte er sie plötzlich angerufen und gefragt, ob er sie besuchen dürfe.
    Er war ein hochgewachsener, hagerer Mann mit blonden Haaren, hellen Augen und einem rötlichen Schnurrbart in dem farblosen, unscheinbaren Gesicht. Er trug einen teuren, dreiteiligen Anzug und wirkte sehr selbstbewußt. Ein sichtbar arrivierter, wahrscheinlich sogar reicher Mann. Im Grunde hatte Nastja keine Zeit für ihn, schon seit zwei Wochen plagte sie sich mit der Auswertung der unaufgeklärten Mordfälle herum, die Arbeit war sehr umfangreich und ging nur stockend voran. Der Besuch des Verwandten erschien ihr unangemessen und machte sie nervös. Doch sie hatte ihn auch nicht abweisen können. Vielleicht brauchte er ja wirklich ihre Hilfe. Immerhin war er ihr Halbbruder.
    »Wir sehen uns ziemlich ähnlich«, sagte sie lächelnd, um die Peinlichkeit der ersten Minuten zu überbrücken. »Offenbar kommen wir beide nach dem Vater. Du bist allerdings um einiges jünger als ich. Sechsundzwanzig, stimmt’s?«
    »Ja, seit letztem Monat.«
    »Bist du verheiratet?«
    »Schon fast vier Jahre.«
    »Kinder?«
    »Ein Mädchen, Katenka«, erwiderte er sanft lächelnd, und Nastja begriff sofort, wie sehr er seine Katenka liebte. Sie fand, daß sie genug Höflichkeiten ausgetauscht hatten.
    »Entschuldige, Sascha, aber ich habe nicht viel Zeit. Deshalb laß uns gleich zur Sache kommen«, schlug sie ohne Umschweife vor.
    »Ja, ja, natürlich.«
    Sascha verstummte plötzlich, ganz offensichtlich wußte er nicht, wie er anfangen sollte. Seine Finger strichen nervös über die Krawatte, wanderten über die Jackettknöpfe und erstarben in einer verschnörkelten Haltung.
    »Also, was ist das Problem?«
    »Ich habe eine Freundin«, platzte er heraus.
    »Und weiter?«
    »Ich glaube, daß mit ihr etwas nicht in Ordnung ist.«
    »Inwiefern?« Nastja runzelte die Stirn. Sie war darauf gefaßt, sich irgendeinen herzzerreißenden Blödsinn anhören zu müssen, der nichts mit den Aufgaben der Miliz zu tun hatte.
    »Ich fange am besten ganz von vorne an. Ich habe sie vor etwa zwei Monaten kennengelemt. Und in der letzten Zeit sind den Leuten, die sie durch mich kennengelemt hat, plötzlich unangenehme Dinge passiert. Ich fürchte, daß das mit ihr zusammenhängt.«
    »Nein, mein Freund, das ist nicht von vorn angefangen«, sagte Nastja schmunzelnd. »Laß mich mal versuchen. Hat deine Freundin einen Namen?«
    »Sie heißt Dascha Sundijewa.«
    »Wie alt?«
    »Neunzehn, fast zwanzig.«
    »Was macht sie?«
    »Sie ist Verkäuferin in der Damenabteilung des ›Orion‹. Außerdem studiert sie. Sie möchte Visagistin werden.«
    »Donnerwetter, ein sehr modischer Beruf. Wo hast du sie denn kennengelemt?«
    »Im ›Orion‹, als ich ein Kostüm für
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