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Analog 06

Analog 06

Titel: Analog 06
Autoren: Hans Joachim Alpers , Hans Joachim (Hrsg.) Alpers
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ihn noch einmal mit in den Dschungel nahm. Die rauhe Kraft der Wildnis, die unmittelbare Nähe des Gesetzes vom Überleben des Stärkeren sollten ihn wieder zu Verstand bringen. Er sollte endlich wieder Tiere jagen statt Orchideen.
    Bisher hatte sich der Plan als Schlag ins Wasser erwiesen. Brooks wollte auf seinen Streifzügen nicht einmal eine Pistole mitnehmen. Mitgekommen war er überhaupt nur aus Freundschaft und weil er ein paar seltene Orchideen zu finden hoffte, und diese Sucherei war offensichtlich zu seiner fixen Idee geworden.
    Zur Abenddämmerung entfachte Nunez ein Feuer. Die drei Männer setzten sich um das Feuer und teilten sich ein einfaches Mahl.
    „Sie haben mir im Flugzeug erzählt, daß Sie von der venezuelanischen Regierung eine Abschußerlaubnis für Böcke und Katzen haben, verdad ?“ Nunez hatte einen leichten Akzent, war aber gut zu verstehen.
    „Ja“, antwortete Crowell.
    „Wir essen Antilopen“, sagte Nunez. „Soweit kann ich Sie verstehen. Ich habe selbst schon welche getötet, wenn ich hungrig war. Aber el tigre ? Was hat man denn davon, wenn man el tigre jagt? In meinem Land lassen wir die großen Katzen in Ruhe, wenn sie keine Menschen töten. Dann allerdings jagen auch wir sie. Zwanzig, manchmal fünfzig Männer tun sich zusammen, und die Jagd kann mehrere Tage dauern. Doch wir haben keinen Spaß daran, und niemand würde etwas von el tigre essen.“ Nunez’ Englisch hatte eine angenehme, spanische Satzmelodie. Er beendete den Satz immer mit einer Hebung, so daß er wie eine Frage klang.
    „Es geht doch nicht ums Essen“, erwiderte Crowell. „Ich jage aus vielen Gründen: Weil es mich herausfordert, weil ich meinen Instinkt als Raubtier ausleben will. Es liegt mir im Blut, daß ich gute Beute machen will. Das ist ein Trieb, den wir von den Affen geerbt haben, aus denen wir uns entwickelt haben.“
    „Quatsch“, sagte Brooks.
    „Und ich habe noch mehr gute Gründe“, fuhr Crowell fort, ohne auf Brooks einzugehen. „Ich esse meine Beutetiere, weil ich sie achte. Und wenn es ein besonders prächtiges Exemplar war, dann nehme ich seinen Kopf oder sein Geweih mit. Katzen jage ich nur zum Sport, wegen der Gefahr. Aber beide Arten von Tieren werden durch die Jäger gestärkt, denn nur die Geschicktesten entgehen dem Tod und können sich fortpflanzen, während die anderen, die von der Kugel des Jägers erwischt werden, ihre minderwertigen Gene nicht weitergeben können.“
    Nunez dachte über diese Worte nach, versuchte sie zu verstehen. „Und Sie, Señor Brooks, Sie jagen nur Blumen?“
    „Früher war ich genau wie mein Freund Dodd“, sagte Brooks nachdenklich. „Jagen, jagen, töten, töten! Ich habe – zu meinem Glück – aufgehört, bevor ein Tier zurückgeschlagen hat.“ Er beugte sich zu Crowell hinüber und schlug ein paarmal auf dessen linken Unterschenkel. „Während du, alter Junge, dich allmählich in Plastik verwandelst.“ Er erklärte Nunez den Sinn seiner Bemerkung: Crowell hatte das Bein bis zum Knie an ein ägyptisches Krokodil verloren. „Aber man kann es nicht sehen, wenn er geht oder jagt.“
    Nunez kicherte. „Warum haben Sie die Jagd aufgegeben?“ fragte er.
    „Crowell jagt wegen der alten Affen“, sagte Brooks, „ich jage nicht mehr wegen eines neuzeitlichen Affen. Wegen eines roten Brüllaffen, um es ganz genau zu sagen.“
    Crowell, der die Geschichte von dem roten Brüllaffen schon mehrere Male gehört hatte, verabschiedete sich. Er hob sein Gewehr vom Boden auf und ging in Richtung des Flusses davon.
    Zu Nunez gewandt, fuhr Brooks fort: „Es ist im Dschungel am Flußufer bei El Tigrito passiert. Zweimal habe ich einem großen Bock aufgelauert, und immer dann, wenn er mir ganz nahe war, begannen die roten Brüllaffen zu schreien. Beim dritten Mal bin ich stundenlang seiner Fährte gefolgt. Als ich ihn genau im Visier hatte, fingen die Brüllaffen wieder mit ihrem Geschrei an. Diesmal war ich wirklich sauer. Oben in den Mangobäumen bewegte sich etwas, und ich habe ohne nachzudenken drauf gehalten. Als ich auf die Lichtung unter den Mangobäumen kam, sah ich einen Affen auf dem Boden sitzen. Er blutete aus einem Loch, das ich ihm in die Seite geschossen hatte. Der Bursche benahm sich wie ein Kind. Er hat gejammert und seine Wunde betastet. Dann hat das arme Wesen sogar Blätter vom Boden zusammengekratzt und sie in das Loch gestopft, um das Blut aufzuhalten.“ Brooks Stimme klang jetzt gepreßt, dann verstummte er ganz.
    Etwas verlegen
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