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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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das
Seitenfenster beobachtete sie ihn dabei, wie er sich mit perfekter Grazie auf
sein Pferd schwang und aus dem Hof ritt.
    Das Pferd sah ähnlich mitgenommen aus wie der
Mann selber, war aber offensichtlich von edlerem Geblüt als er. Merkwürdig,
dachte Vitória, ein so prachtvolles Tier im Besitz einer solchen Gestalt. Die
Menge an Taschen, Rollen und Säcken, mit denen das Tier beladen war, ließ
darauf schließen, dass der Mann tatsächlich Handel mit irgendetwas trieb. Und
wenn dem so sein sollte, dann, so sagte sich Vitória, war ihre Reaktion vielleicht
doch ganz richtig gewesen. Wo sollte das hinführen, wenn sich schon
irgendwelche erbärmlichen Bittsteller erdreisteten, an der Vordertür zu läuten.
Demnächst wollten sie womöglich noch in den weichen Sesseln der Halle Platz
nehmen und einen Kaffee serviert bekommen!
    Auf Boavista wurde niemand abgewiesen. Jeder Händler
durfte seine Ware feilbieten, jeder Notleidende bekam einen Teller Suppe, jeder
durchreisende Soldat konnte seinen und seines Pferdes Durst hier löschen. Aber
sie alle hatten sich am Hintereingang zu melden, wo sie von Miranda oder Felix
oder einem anderen Haussklaven in Empfang genommen wurden. Nur wer ganz
offensichtlich die Familie da Silva besuchen wollte, in privaten oder in geschäftlichen
Angelegenheiten, war befugt, an der Vordertür zu schellen.
    Vitória schüttelte den Kopf. Noch immer voller
Unglauben über die Frechheit des Mannes ging sie ins Esszimmer. Miranda
polierte ein Silbermesser – gerade mal das zweite, denn vor ihr auf dem Tisch
blitzte erst ein weiteres Messer, während der Rest des Bestecks noch matt und
grau auf einem unordentlichen Haufen daneben lag.
    »Geh doch mal zur Hintertür und hör dir an, was
dieser komische Kauz von uns will. Aber weise ihn in jedem Fall ab. Er scheint
mir nicht ganz lautere Absichten zu haben.«
    »Sehr wohl, Sinhá.« Miranda ließ das Messer, das
sie noch in der Hand hielt, laut auf den Palisandertisch poltern und eilte
davon.
    Wenig später kam sie zurück. »Da war niemand,
Sinhá Vitória.« Sehr mysteriös. Wie auch immer. Vitória wollte sich nicht länger
den Kopf über den Mann zerbrechen.
    Miranda stand unentschlossen vor ihrer Herrin
und wartete auf deren Reaktion.
    »Was stehst du da und hältst Maulaffen feil?
Setz dich wieder hin und polier das Silber. Und tu mir den Gefallen und
versuche dabei, nicht den schönen Tisch von Dona Almas Großmutter zu
ramponieren, ja?«
    Miranda setzte sich. Gedankenversunken schob
auch Vitória einen Stuhl zurück, um sich am Tisch niederzulassen. Durch einen
Spalt in den Gardinen schien ein einzelner Sonnenstrahl, in dem die Staubkörnchen
flogen und der genau auf den Perserteppich vor dem Büfett gerichtet war. Vitórias
abwesender Blick wanderte hinauf und blieb an dem Gemälde hängen, das über dem
Büfett hing. Alma und Eduardo da Silva im Salon ihrer neu erbauten Fazenda
Boavista, anno 1862. Ihre Mutter in einem roséfarbenen Kleid mit ausladender
Krinoline, wie sie damals modern waren – unvorstellbar, dass Dona Alma einmal
eine solche Schönheit gewesen war. Und ihr Vater sah zwar furchtbar streng auf
dem Gemälde aus, doch das war wahrscheinlich auf den Geschmack der Zeit und des
Künstlers zurückzuführen. Jedenfalls war Eduardo ein wirklich gut aussehender
Mann gewesen, und sein damals nur von einem Schnauzer geschmücktes Gesicht drückte
Stolz und Intelligenz gleichermaßen aus.
    Ein lautes Klirren riss Vitória aus diesem
kurzen Moment der Lethargie. Miranda hatte ein fertig poliertes Messer auf die
anderen fallen lassen und sah sie ängstlich an.
    Vitória schimpfte diesmal nicht mit Miranda, sie
war es für heute leid. Irgendwann würde das Mädchen sich schon so benehmen, wie
sie es von ihr erwartete. Wortlos stand Vitória auf und ging. Genug des Müßiggangs!
Sie hatte keine Zeit zu verlieren, wenn sie alles schaffen wollte, was heute
anlag. Ein Sklave war angeblich sehr krank. Wenn Felix mit dem Arzt aus
Vassouras kam, musste sie gemeinsam mit dem Doktor nach dem jungen Schwarzen
sehen. Es konnte sich schließlich auch, was gelegentlich vorkam, um einen
Simulanten handeln, der sich entweder nur vor der Arbeit drückte oder aber
hoffte, von den anderen Sklaven isoliert zu werden, um die Flucht zu wagen.
    Weiterhin musste Vitória der Beschwerde des
Vorarbeiters nachgehen, der den Aufseher beschuldigte, Lebensmittel zu stehlen,
die den Sklaven zugeteilt worden waren. Ein schwerer Vorwurf – sollte Vitória
den
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