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Amras

Titel: Amras
Autoren: Thomas Bernhard
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entziehenden Nachmittags … ich ging, während ich die Patienten durchschaute, in einer Entfernung von fünfzehn, von zwanzig Metern, durch mich klug abgesondert von allen andern, mit Schritten und mit Gedanken haushaltend, so, wie ich es immer geliebt habe, allein mit mir selbst auf der von mir nun schon ein halbes Jahr nicht mehr begangenen Straße, die aus den Gärten von Amras nach Wilten führt … gelenkt von Geräuschen und Farben … ein plötzlich nur noch auf Abschied und Tod eingestellter Mensch, noch nicht zwanzig, nach vorwärts zögernd, nach rückwärts staunend, mit dem sich gegen die Erschütterungen und Enttäuschungen erfolglos wehrenden Hang zur Fürsorglichkeit, in der Gewißheit, mit Walter zugrunde gehen zu müssen … Ich gehe, sagte ich mir, auf das Postamt … ich gehe, während mich Walter, von dem bevorstehenden Arztbesuch angegriffen, vom Turmfenster aus beobachtet, so lange beobachtet, bis er mich nur noch durch die Kraft seiner Phantasie beobachten kann … Ich gehe unter der Glasglocke unserer Empfindungen … sinnloser Versuch, aus der Hoffnungslosigkeit rasch herauszukommen … mit meinem an der Finsternis geschulten, andie Finsternis geschweißten Kopf, aus einem Extrem in das andere … Konflikte … immerfort in die Tiefe durch Tiefe , gelenkt von Einbildungs kraft … In diesem Gedanken verfolgte ich mich eine Zeit … Um nicht ersticken zu müssen, kehrte ich plötzlich in diesem Gedanken um … wie um mein Leben war ich in diesem Gedanken in mich zurückgelaufen …
    An Hollhof
    Geehrter Herr, ich schicke Ihnen heute die von Ihnen verlangte Auswahl der von Walter im Turm verfaßten, von ihm mir verheimlichten, von mir unter unseren Strohsäcken aufgefundenen Schriften.

Z IRKUS
    Seiltänzerin
    In ihrer Mitte könnte ich meine Welt aufhalten, wäre ich nicht von den Wissenschaften verdorben. Ich hätte sie schon, bevor sie in Frage gekommen ist, für meine Theorien gebrauchen, mißbrauchen können, zu Ende führen. Wozu ihr wie mir der Verstand fehlt …
    Direktor
    Der Augenblick sagt, daß der Mensch ein kunstvoller Mensch ist. Jeder Peitschenhieb des Direktors gegen das Tier (den Leoparden) erniedrigt die Vorstellung von zwei Verstandes hälften . Die siegreiche – da die Natur ein Gesetz ist – weigert sich, der Wahrheit zu Willen zu sein. Wir nehmen den Standpunkt ein, den Leopardenstandpunkt.
    Ein Buch über alle Wahrnehmungen, die ich im Turm gemacht habe
    Ein Buch über alle Wahrnehmungen, die ich im Turm gemacht habe, müßte natürlich ein Buch über Alles sein, überdas ganze Mögliche . Aus diesem Grund ist es unmöglich, ein Buch über alle Wahrnehmungen, die ich im Turm gemacht habe, zu verfassen.
    Die Tragödie, die Tragödie der Tragödie, die immer nur ein Versuch zur Tragödie gewesen ist.
    Die Vorstellung des brennenden Zirkuszeltes im Menschen Die Vorstellung des brennenden Zirkuszeltes im Menschen läßt in den meisten das Geheul der Löwen und das Reißen der Tigernägel erheiternd erscheinen, die Fähigkeit, die Höhepunkte eines Zirkusprogramms in dem menschlichen Gehirn einfach auszuwechseln, Balanceakte gegen Zauberkunststücke auszutauschen, den Dressurakt gegen die Spaßmacherei …
    (Der Tod des Dompteurs ist peinlich, weil der Dompteur nicht unsterblich ist.)
    Der Spaßmacher und sein Geselle
    Der Augenblick, in welchem der Spaßmacher mit seinem Gesellen auftritt, ist für den Augenblick, nicht für den Spaßmacher und seinen Gesellen, tödlich; aber alle Augenblicke sind für den Spaßmacher und seinen Gesellen tödlich, deshalb kann ich in diesem Augenblick Alles hören . Zwischen dem Spaßmacher in dem silbrigen und seinem Gesellen in dem roten Kleid zielt alles darauf, die Zuschauer (für ihr Geld und für ihren Verstand ) in Erstaunen zu versetzen ; Kunststück nur für das menschliche Auge, für das naive Menschengemüt; alles jahrtausendealte tödliche Tradition .
    Jedes Erstaunliche hat seine Methode, bis wir feststellen, daß das Erstaunliche nicht erstaunlich ist, keine Methode hat. Die besten Plätze, auf welchen die Phantasie spielt. (Es gibt nur Hauptdarsteller der Nebenrollen.)
    Der Seiltänzer
    Der Seiltänzer ist berühmt, weil er auf dem Seil einen Sprung machen kann, der berühmt ist; wir sehen seinen Sprung schon zum vierten Male, denn ein einziger Sprung wäre allen zu wenig, für die Neugierde aller Menschen – auf Wunsch des Direktors macht der Seiltänzer immer vier Sprünge, auf den fünften verzichtet er, denn der wäre
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