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Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Titel: Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
Autoren: Stefan Zweig
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als seinen persönlichen Vorschlag bei, » quam quia Americus invenit Amerigem quasi Americi terram, sive Americam nuncupare licet «, »den man, da Americus ihn gefunden, die Erde des Americus oder America von heute an nennen könnte«.
    Diese drei Zeilen sind der eigentliche Taufschein Amerikas. Auf diesem Quartoblatte ist zum erstenmal der Name in Lettern gegossen und im Druck vervielfältigt. Wenn man den 12. Oktober 1492, da vom Deck der › Santa Maria ‹ Columbus die Küste von Guanahani aufschimmern sieht, als den eigentlichen Geburtstag des neuen Kontinents bezeichnen kann, so muß man diesen 25. April 1507, da die › Cosmographiae Introductio ‹ die Presse verläßt, seinen Tauftag nennen. Es ist zwar nur ein Vorschlag, den dieser bisher namenlose siebenundzwanzigjährige Humanist in dem abgelegenen Städtchen macht, aber sein eigener Vorschlag entzückt ihn dermaßen, daß er ihn ein zweitesmal noch eindringlicher wiederholt. Im neunten Kapitel führt Waldseemüller seine Anregung in einem eigenen Absatz aus. »Heute sind«, schreibt er, »diese Teile der Erde (Europa, Afrika und Asien) bereits vollkommen erforscht und ein vierter Weltteil von Amerigo Vespucci entdeckt. Und da Europa und Asien weibliche Namen empfangen haben, sehe ich keinen Einwand, diese neue Region nicht Amerigo, das Land Amerigos oder America nach dem weisen Manne zu nennen, der es entdeckt hat.« Oder in seinen eigenen lateinischen Worten: » Nunc vero et hae partes sunt latius lustratae et alia quarta pars per Americum Vesputium (ut in sequentibus audietur) inventa est, quam non video cur quis iure vetet ab Americo inventore sagacis ingenii viro Amerigem quasi Americi terram sive Americam dicendam; cum et Europa et Asia a mulieribus sua sortita sunt nomina. « Gleichzeitig läßt Waldseemüller dieses Wort »America« an den Rand des Absatzes drucken und zeichnet es überdies in die dem Werke beigelegte Weltkarte ein. Ohne daß er es ahnt, trägt seit dieser Stunde der sterbliche Amerigo Vespucci die Aureole der Unsterblichkeit über seinem Haupt; Amerika heißt seit dieser Stunde zum erstenmal Amerika und wird es heißen für alle Zeiten.
     
    Aber das ist ja absurd, entrüstet sich vielleicht ein aufgeregter Leser. Wie kann dieser siebenundzwanzigjährige Provinzgeograph sich erfrechen, einem Manne, der Amerika nie entdeckt und im ganzen zweiunddreißig Seiten ziemlich anzweifelhafter Berichte verfaßt hat, die Ehre zuzuweisen, den ganzen riesigen Kontinent nach sich benannt zu sehen? Jedoch diese Entrüstung ist eine anachronistische; sie denkt nicht aus der historischen Situation, sondern aus unserer Optik. Wir Menschen von heute verfallen instinktiv in den Fehler, wenn wir das Wort »Amerika« aussprechen, unwillkürlich an den gewaltigen Erdteil zu denken, der von Alaska bis nach Patagonien reicht. Von dieser Ausdehnung des neugefundenen » Mundus Novus « hatte anno 1507 weder der brave Waldseemüller noch irgendein andererSterblicher die geringste Ahnung, und ein Blick auf die Karten um Beginn des sechzehnten Jahrhunderts zeigt, was sich die damalige Kosmographie unter dem » Mundus Novus « ungefähr vorstellte. Da schwimmen inmitten der dunklen Suppe des Weltmeers ein paar ungefüge Brocken Land, nur an den Rändern ein wenig angeknabbert von der Neugier der Entdecker. Das winzige Stück Nordamerika, wo Cabot und Cortereal gelandet, ist noch an Asien angeklebt, so daß man in der damaligen Vorstellung von Boston nach Peking nur wenige Stunden brauchte. Florida liegt als große Insel neben Cuba und Haiti, und an der Stelle der Landenge von Panama, die Nordamerika und Südamerika verbindet, flutet ein breites Meer. Südlich davon ist nun dies neue unbekannte Land (das heutige Brasilien) als eine Art Australien, eine große runde Insel, eingezeichnet; sie heißt auf den Karten Terra Sancta Crucis oder Mundus Novus oder Terra dos Papagaios – alles dies unbequeme, unhandliche Namen für ein neues Land. Und da Vespucci diese Küsten zwar nicht als erster entdeckt, aber – dies weiß Waldseemüller nicht – zuerst beschrieben und Europa bekannt gemacht, folgt er nur einem allgemeinen Brauch, wenn er Amerigos Namen vorschlägt. Bermuda heißt nach Juan Bermudez, Tasmanien nach Tasman, Fernando Po nach Fernando Po warum sollte dies neue Land nicht nach seinem ersten Vulgarisator genannt werden? Es ist eine freundliche Geste der Erkenntlichkeit gegenüber einem Gelehrten, der als erster – dies Vespuccishistorisches Verdienst
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