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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
Autoren: Nicola Vollkommer
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Ihres Lebens sozusagen am äußersten Rand der Welt zu verbringen, jemals bereut, Bischof?«
    »Niemals!«, war die Antwort, die er auf diese Frage immer gab. »Es wäre für mich eine Strafe gewesen, irgendwo anders auf dieser Welt zu leben.«
    »Und was erwartet Sie als Ehrengast bei den Feierlichkeiten am Wochenende?«
    »Ich werde Bilder aus der alten Zeit zeigen, eine Unmenge von Fragen beantworten, und die jungen Inuit werden auf jeden Fall ganz genau wissen wollen, wie ihre Großeltern gelebt haben und was mich als jungen Berufsanfänger einer britischen Großstadt dazu bewegte, einer von ihnen zu werden!«
    »Und sie werden Ihnen sicher dafür danken, Bischof Sperry. Auch ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch.«

    »Und jetzt zu unserem neuen Thema, Jungs. Wer kann mir sagen, warum unser King George der Fünfte auch ›Kaiser von Indien‹ genannt wird? Etwa weil er gerne auf Elefanten reitet?«
    Mr Grattidge lachte laut und herzlich. Ein eher verhaltenes Gekicher ging durch die Reihen der 10-jährigen Jungs, die vor ihm saßen, auf Schulbänken sauber aufgereiht. Mr Grattidges Versuche, unterhaltsam zu sein, gingen immer wieder auf tragische Weise in die Hose.
    »Weil Indien zum British Empire gehört. Folglich ist King George auch König über Indien.«
    »Absolut korrekt, Mason.«
    Robert Mason, Klassenbester und Meisterstreber der Medway Junior School, lieferte immer die gewünschte Antwort.
    »Und über welche Teile der Welt herrschen wir Briten?«
    »Über alle, Sir!«
    Dieses Mal ging ein lautes Gekicher durch die Reihen.
    »Das war eine äußerst arrogante, hochmütige Antwort, Sperry. Und auf keinen Fall lustig.«
    »Es war nur ein Scherz, Sir. Meinen Sie nicht, dass es einfacher wäre, die Länder zu lernen, die nicht zum British Empire gehören?«
    Mr Grattidge war nicht beeindruckt.
    »Bin ich oder bist du hier der Lehrer, Sperry? So, Mason? Du wolltest etwas sagen.«
    »Das British Empire, Sir, umfasst die Kolonien, Protektorate, Reiche und Mandate wie auch weitere Territorien, die von Großbritannien beherrscht werden. Es ist das größte Imperium aller Zeiten und auch zum jetzigen Zeitpunkt die vorherrschende globale Macht. Bis zum Jahr 1922 prägte es das Leben von über 459 Millionen Menschen weltweit, das heißt, einem Viertel der Weltbevölkerung. Mit Recht, Sir, ist von den Dichtern behauptet worden, dass ›die Sonne nie über dem Britischen Imperium untergeht‹. Jede andere Macht, die sich diesem weltweiten Einfluss widersetzte, ist bisher gescheitert. Auch die ehrgeizigen Ambitionen eines Mr Adolf Hitler in Deutschland werden mit Sicherheit scheitern, Sir.«
    Mason hielt kurz an, um Luft zu holen. Er war voll in Fahrt geraten und ereiferte sich zusehends. Sein Gesicht wurde ganz rot.
    »Ausgezeichnet, Mason, ausgezeichnet! Mr Adolf Hitler lassen wir aber erst mal beiseite. Sperry, wolltest du etwas hinzufügen?«
    »Ja, Sir. Mason hat nicht ganz recht. Es gibt einen Teil des British Empire, in dem die Sonne sehr wohl untergeht. Um genau zu sagen, in dem die Sonne lange gar nicht wieder aufgeht.«
    Der Lehrer zuckte empört zusammen.
    »Machst du wieder Späße, Sperry? Und wo im British Empire geht die Sonne nicht auf, Sperry?«
    »Im Eskimoland, Sir. Am Nordpol. Da ist es die ganze Zeit dunkel, den ganzen Winter hindurch.«
    Das Gesicht von Mr Grattidge hellte sich plötzlich auf.
    »Du bist zwar ein Faulpelz und Kasper, Sperry, aber gelegentlich setzt du dein Gehirn tatsächlich zu nützlichen Zwecken ein. Gut aufgepasst. Und da haben wir es. Selbst die fernen Eskimos, die in ihren Schneehäusern am Endpunkt dieser Welt leben, sind Untertanen Seiner Majestät.«
    »Die Armen wissen wahrscheinlich nichts von ihrem großen Glück, vermute ich, Sir«, ergänzte John Sperry, von seinen Freunden und der Familie Jack genannt, schelmisch.
    »Wie bitte, Sperry?« Das Gesicht von Mr Grattidge verdunkelte sich wieder.
    »Ich … ich meine, die Eskimos müssen sehr glücklich sein, so einen wunderbaren Regenten zu haben wie King George, Sir!«
    »Du scheinst ein ausgesprochen gut entwickeltes Talent für verbale Missgeschicke zu besitzen, Sperry. Ironische, unverschämte, unangemessene …«
    »Habe ich von meinem Vater geerbt, Sir.«
    »Für die grenzwertigen Bemerkungen, die du in dieser Unterrichtsstunde von dir gegeben hast, darfst du ein Igludorf entwerfen und malen und mir morgen zeigen, Sperry. Und eine Geschichte dazu erzählen.«
    Kein Problem. Das Talent zum Geschichtenerzählen
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