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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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am Hafen gestanden hatte, war ein Gerippe. Ziegel, Balken und Leinen im Wert von Tausenden von Pfund waren zu feinem weißem Staub geworden, den schon bald die nächste Brise davontragen würde.
    Brigit Mahoney traf ein, als die Dämmerung die schattigen Gässchen des Merchant’s Quay erreicht hatte. Die Schaulustigen hatten sich zerstreut. Nur die Landstreicher, ein paar Matrosen und die Polizei waren noch geblieben. Brigit umarmte Rhia, sagte aber nichts. Ihr Gesicht, das normalerweise außerordentlich gefasst wirkte, war voller Sorge. Sie hatte beinahe ihr fünfzigstes Jahr erreicht, aber ihre zarten Gesichtszüge waren immer noch straff, wie aus gut gelagertem Holz geschnitzt. Heute jedoch wirkte sie kleiner, ihre Schultern steif.
    Brigit starrte auf ihre nackten Füße, und Rhia folgte ihrem Blick. Im Zwielicht sahen ihre Füße aus wie Marmor. Bis jetzt hatte sie die schmerzende Kälte gar nicht bemerkt.
    »Mir war bisher nicht kalt …«, murmelte sie.
    »Dann sind sie vielleicht erfroren. Im Wagen sind meine Kalbsleder-Pantoffeln und eine Kanne Tee.«
    Rhia kehrte in Schuhen und mit einem Krug aus Steinzeug zurück. Ihre Mutter sprach leise mit dem Polizisten, der sie festgehalten hatte. Er warf ihr einen Blick zu, und seine Miene verriet, dass er ihr jetzt glaubte. Sie teilten das dampfende Gebräu mit den verbliebenen Männern. Niemand erwähnte den Namen ihres Vaters.
    Sie warteten. Niemand wollte der Erste sein, der die Hoffnung aufgab, aber in der Ruine war kein Lebenszeichen zu entdecken und kaum mehr als eine Flamme züngelte noch.
    Brigit quetschte Rhias Finger in ihrer Hand. »Der Rasen vor dem Cottage sieht aus wie ein türkischer Teppich«, flüsterte sie. »Überall liegen die rosafarbenen und feuerroten Blütenblätter der Rosen verstreut.« Sie versuchte, die Erinnerung an etwas Schönes heraufzubeschwören, um sie beide zu beruhigen. »Und die Blätter des Ahorns und der Rotbuche sind eine wahre Pracht. Ich habe mir gedacht, du könnest mit deinem Malkasten kommen und …« Sie brach mit einem erstickten Geräusch ab, und ihre Finger flatterten wie Motten an ihre Lippen. Rhia folgte ihrem Blick. Gerade wurde der Körper von Connor Mahoney von zwei Polizisten auf einer behelfsmäßigen Bahre aus dem Gerippe des Lagerhauses getragen. Er war schwarz wie ein Kaminkehrer und totenstill.
    Ihre Mutter packte ihre Hand so fest, dass Rhia das Gefühl hatte, ihre Knochen würden gleich brechen. Sie gingen auf die Bahre zu, die jetzt vorsichtig auf den Boden gelegt wurde. Die wenigen Zuschauer wichen zurück, um sie durchzulassen. Das linke Bein von Connor Mahoney war so entsetzlich verdreht, dass es aussah, als wären seine Hosenbeine mit Lumpen ausgestopft. Sein Gesicht war eine kohlschwarze Maske. Der Moment schien eine Ewigkeit zu dauern. Brigit sank neben ihrem Mann auf die Knie und küsste seine geschwärzten Lippen, als wären sie allein. »Leannán« , flüsterte sie, mein Liebster. Ihre schmalen Schultern sackten schließlich zusammen. Rhia kniete sich neben ihre Mutter.
    »Er lebt«, sagte der junge Polizist, selbst schwarz von Kopf bis Fuß, der der Prozession gefolgt war.
    Rhia lachte, und Brigit weinte. Der Polizist strahlte und hieb dem jungen Helden auf den Rücken, bevor er ihm die Flasche reichte. Der Junge berichtete ihnen, was er in dieser Nacht erlebt hatte. Das Feuer war im Erdgeschoss des Gebäudes ausgebrochen, als Mr Mahoney die Treppe hinuntergestürzt war und dabei ein Talglicht in einen Korb mit geöltem Leinen hatte fallen lassen. Bei dem Sturz hatte er sich das Bein gebrochen, und zu dem Zeitpunkt, als sein Retter zu ihm gekommen war, war der Keller ihre einzige Hoffnung. Glücklicherweise war dieser nämlich mit einem Tunnel verbunden, der in ein altes Gewölbe, tief unten beim Fluss, führte. Eine winzige Öffnung, möglicherweise ein Rattenloch, hatte ihnen das Atmen ermöglicht, als sich der Raum mit Rauch füllte.
    Der junge Mann winkte nur ab, als sie ihn mit Dank und Lob überschütteten. Verlegen stand er ihren Tränen gegenüber. Er schien nichts Besonderes daran zu finden, dass er einem Mann das Leben gerettet hatte. Er war lediglich etwas enttäuscht, dass die Flasche Tee enthielt und keinen Schnaps.
    Jemand wurde nach dem Krankentransport geschickt.
    Rhia beobachtete, wie ihre Mutter die angebotene raue Wolldecke entgegennahm und sanft über ihren Mann breitete. Sie strich ihm die Haare aus den Augen, so zart, so liebevoll, und wischte verkohltes Leinen von seinen
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