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Am Anfang war das Wort

Am Anfang war das Wort

Titel: Am Anfang war das Wort
Autoren: Batya Gur
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Mitgliedern eine Rede zu halten. Sie saßen im Speisesaal hinter einem Tisch, auf dem zur Feier des Tages eine grüne Decke lag. Sie hatte diese Veranstaltungen verabscheut.
    Der Wasserkrug war leer, und Tuwja, der sich an den Tisch lehnte und ununterbrochen nickte, hörte konzentriert einige Minuten Scha'ul Tirosch zu, der auf ihn einredete. Schließlich stand Tirosch auf, und beide kamen auf die Tür zu. Tirosch schenkte Ruchama ein intimes Lächeln und sagte: »Nun, hat es dir gefallen?« Ruchama gab keine Antwort, und er fuhr fort: »Irgend jemandem muß das Drama doch gefallen haben. Tuwja hält Duda'is Angriff für einen ödipalen Aufstand. Ich glaube das nicht, auch wenn ich keine andere Erklärung habe. Wie dem auch sei, es war jedenfalls hochinteressant. Ich habe ihn, ganz im Gegensatz zu Tuwja, immer für einen interessanten jungen Mann gehalten, diesen jungen Duda'i.« Ruchama bemerkte jedoch einen neuen Ausdruck in den grünen Augen, einen Ausdruck, den sie nie zuvor gesehen hatte, vielleicht Besorgnis, und plötzlich empfand sie ein vages Gefühl der Angst. Tuwja sagte kein Wort, doch sein Gesicht war finster und zornig.
    Zusammen fuhren sie mit dem Aufzug hinunter zur Tiefgarage. Obwohl sie nun schon seit zehn Jahren in Jerusalem war, fand sich Ruchama noch immer nicht ohne Hilfe auf dem Campus zurecht. Der runde Bau der Geisteswissenschaften, bei dem jeder Fachbereich in einer anderen Farbe gestrichen war, damit man ihn leichter unterscheiden konnte, flößte ihr Angst ein. Sie kannte nur den Weg zum Haus Maiersdorf, dem Gästehaus der Universität, und den Aufzug, der sie in die Tiefgarage brachte. Auch wenn sie zum Fachbereich Literatur mußte, nahm sie immer den Weg über das Haus Maiersdorf, weil sie nur so zu ihrem Ziel fand.
    Scha'ul lehnte ihr Angebot, noch auf eine Tasse Tee zu ihnen zu kommen, ab, und sie begleiteten ihn zu seinem Auto. Dann gingen sie zu ihrem Subaru, der in einer dunklen Ecke der Tiefgarage stand.
    Auch in der Tiefgarage fürchtete sich Ruchama immer. Orte wie diese und auch überfüllte Kaufhäuser machten ihr solche Angst, daß ihr übel wurde. Diesmal jedoch schien die Angst eine neue Dimension erreicht zu haben. Als aus einer Ecke eine Gestalt auftauchte, konnte Ruchama einen Aufschrei nicht unterdrücken, und sie beruhigte sich erst, als sie das intelligente Gesicht Ido Duda'is erkannte. »Tuwja«, sagte Ido, »ich muß mit dir sprechen.« Und trotz der energischen Bewegung, mit der Tuwja die Autotür aufmachte und die Scheinwerfer einschaltete, die das angespannte Gesicht Idos anstrahlten, spürte Ruchama den Zorn, die Verlegenheit und das Unbehagen in seiner Stimme, als er sagte: »Ja. Ich glaube tatsächlich, daß wir miteinander sprechen sollten, besonders nach diesem Abend. Hast du morgen Zeit?«
    »Nein, morgen ist es zu spät. Ich muß jetzt gleich mit dir sprechen«, sagte Ido, und in seiner Stimme lag eine solche Panik, daß Ruchama wußte, daß ihr Mann sich nicht weigern konnte. »Dann fahr uns nach, zu uns nach Hause«, sagte Tuwja.
    Ido warf Ruchama einen Blick zu. Sie senkte schnell die Lider, und Tuwja sagte: »Wegen Ruchama brauchst du dir keine Sorgen zu machen, sie wird uns allein lassen.« Er wandte sich an sie. »Stimmt's?« Sie nickte.
    Im Auto redete Tuwja ununterbrochen. Er versuchte zu erraten, was Ido dazu gebracht haben könnte, sich so zu verhalten, wie er es getan hatte. »Man hätte ihn nicht nach Amerika fahren lassen dürfen«, betonte er wieder. »Seit ein paar Wochen, seit er zurück ist, ist er ganz verändert.« Ruchama sagte nichts. Sie war müde. Nur für einen kurzen Moment wurde noch einmal ihre Neugier geweckt, als sie wenig später den bedrückten Ausdruck auf Idos Gesicht sah. Er stand vor ihrer Wohnungstür, im zweiten Stock des
     
    Hochhauses auf dem französischen Hügel. Doch dann wurde sie von Müdigkeit überwältigt, sie sagte: »Gute Nacht« und zog sich in das kleine Schlafzimmer zurück. Sie hörte noch Tuwjas Stimme und das Klappern von Idos Sandalen, als er Tuwja in die Küche folgte, sie hörte das Klappern der Teetassen und dann Idos Frage: »Wie macht man das Ding da an?«, doch da lag sie schon im Bett, unter dem Laken, das in dieser heißen Nacht eigentlich überflüssig war. Das offene Fenster brachte keine Erleichterung. Die Luft stand trocken und stickig im Hof. Die letzten Geräusche, die sie hörte, waren die Stimmen aus den Fernsehgeräten der benachbarten Wohnungen, dann schlief sie
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