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Altherrensommer

Altherrensommer

Titel: Altherrensommer
Autoren: Andreas Malessa
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restaurieren, Tango tanzen lernen, Malkurse besuchen, Halbmarathon laufen, Berge erklimmen und Weltmeere durchkreuzfahren. Wo sie ja jetzt »endlich nicht mehr arbeiten müssen«, »endlich ihr eigener Herr sind«, »alle Zeit der Welt für etwas Sinnvolles haben«! Die Texte platzen vor Lebensfreude und strotzen nur so von Vitalität. Aber seltsam: Direkt daneben und zwischen all den Erfolgsberichten stehen Anzeigen der Pharmaindustrie. Empfehlungen für Salben gegen Gelenkschmerzen, Tabletten gegen Harndrang und Konzentrationsschwäche, Treppenlifte für Gehbehinderte. Denn weder im redaktionellen Text noch in den Anzeigen steht: 66% aller Spät-Scheidungen werden von Frauen eingereicht . Die Damen sind nach mehr als einem Vierteljahrhundert Ehe offenbar zunehmend unzufrieden mit ihren alternden Männern. Und die mit ihrem Körper. Aber darüber reden sie höchst ungern. Mit wem auch?

    Hat es je ein Mann jenseits der 50 an einem Zeitungskiosk oder in der Bahnhofsbuchhandlung bemerkt oder gar beklagt, dass monatlich mehrere tausend Seiten schönster Hochglanzmagazine davon handeln, was Frauen nach der Berufs- und Familienarbeit machen? Kochen, Festtafeln dekorieren, Stoffe drapieren, Kleider schneidern, Sticken, Häkeln, Batiken, Malen, Töpfern, Gärten anlegen, Gemüse ziehen, Rosen züchten, Blumen stecken, Schmuck löten,
Schminken, Frisieren, Gesund bleiben, und überhaupt-wie-in-einem-Rosamunde-Pilcher-Roman-leben? Toll! Glückwunsch. Und was machen Männer nach der Erwerbstätigkeit so? Kaum der Rede wert, jedenfalls nicht der auflagenstark Gedruckten. Wenn Herr Rentner nicht zufällig angelt, jagt, segelt oder Zierfische züchtet, kann kaum ein Fachmagazin von seinen Hobbies leben.

    Nein, alte Männer beklagen ihren Bedeutungsschwund im öffentlichen Leben nicht. Die Krisen ihrer vom Rollenwandel belasteten Ehe nicht. Die Gefährdung ihrer psychischen Stabilität schon gar nicht. Es mag dafür so viele Gründe geben wie alte Männer, Millionen wahrscheinlich. Zu den Ritualen intellektueller Redlichkeit in der Postmoderne gehört es, vorneweg zu beteuern, dass es »den« im Folgenden beschriebenen Typen sowieso nicht gibt. Und dass auf jede vermeintlich symptomatische Beobachtung hundert Ausnahmen und Gegenbeispiele folgen. Schon recht. Soll sein, soll alles sein. Darf ich trotzdem einige Vermutungen zur öffentlichen Diskussion stellen und den Paaren für das gemeinsame Gespräch empfehlen?

    Alte Männer beklagen nichts, weil sie nicht glauben können oder wollen, dass ihre Selbstwahrnehmung und ihre Außenwirkung zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Gegen alle theoretische Vernunft und praktische Erfahrung halten die meisten an einem seltsamen Dogma fest: Die Welt müsse sie so sehen, wie sie sich selbst sehen. Müsse in ihnen den »Junggebliebenen« erkennen, den unverwüstlichen Mick-Jagger-in-uns-allen. Wer sich geistig, seelisch, sozial und kulturell so fühlt, als habe sich eigentlich kaum was geändert, seit er Ende Dreißig ist – der geht stillschweigend
auch davon aus, das müssten die anderen auch von ihm denken. Das gilt vermutlich übrigens auch für Frauen im »Altweibersommer« des Lebens. Sie selbst zählen sich keinesfalls zu jenen »alten Leuten«, die da gerade aus dem Touristenbus steigen. Kaffeefahrt, Stadtrundfahrt, Gott, wie peinlich! Diese breiten Sandalen in undefinierbarem Grüngrau. Diese Faltenröcke mit Stretchbündchen. Das Strickjackengeschwader im Formationsflug. Sogenannte »freche« Föhnfrisuren mit Strähnchen in Aubergine. Und die Herren? Diese Anglerwesten mit achtundzwanzig klettverschließbaren Außentaschen. Diese Hemingway-Gesichter mit einem Blick wie Winnetou. Die Hosen aber haben Bügelfalten. Vom Museumseingang her ruft eine Frauenstimme »Kommst Du endlich?!« und schon trollen sie sich. Gehör’ ich zu denen? Niemals! »Ich sperre mich instinktiv gegen den Gedanken, dass wir außer dem Geburtsdatum etwas gemeinsam haben könnten«. 3

    »Man ist so alt, wie man sich fühlt« – dieser Spruch ist dumm. Weil man(n) oder frau sich morgens wegen körperlicher Beschwerden manchmal oder sogar häufig älter fühlt als man tatsächlich ist. Und weil es die Deutungshoheit der eigenen Wirkung von den Betrachtern auf den Betrachteten verlagert. Vom Objekt aufs Subjekt. Trotzdem haben Soziologen den Satz wissenschaftlich gegengecheckt und geschlechterübergreifend festgestellt: »Die meisten Älteren nehmen sich ungefähr neun Jahre jünger wahr, als sie sind« 4 .
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