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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman
Autoren: Hans Fallada
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Beruf.«
    »Eisenbahn!« verwirrte sich Frau Müller und war sofort den Tränen nahe. »Herr Professor, ich bin siebenundzwanzig Jahre bei Ihnen, und Sie sind nie mit der Eisenbahn gefahren!«
    »Das hat hiermit nichts zu tun«, antwortete der Professor milde. »Dies heißt den Fall zu weiblich betrachten.«
    »Und Ihre Arbeit?« rief die Müllern, warf einen Blick auf den Schreibtisch und brach nun wirklich in Tränen aus. »Ihre Arbeit, Herr Professor?! Ich hatte mich so gefreut, Sie kamen in der letzten Zeit so gut voran.«
    »Meine Arbeit?« fragte der Professor betroffen und sah mit ihr auf den Tisch voll Papier. »Ja freilich, meine Arbeit. Haben Sie mitgelesen? Ist sie gut?«
    »Und ob sie gut ist!« rief die zu weiblich denkende Müllern. »Eine ganze Seite haben Sie in der letzten Woche jeden Tag geschrieben!«
    »Meine Arbeit«, sagte der Professor noch einmal wehmütig. Er schwankte. Aber auf ihren Blättern lag der Brief, nicht mehr fortzudenken. Er hob ihn auf. Mit festerer Stimme sagte er: »Hier steht Matthäus 7,7. Das ist unverbrüchlich. Ich bin gerufen.«
    »Von solchem Schmierian, Herr Professor!« widersprach die Witwe Müller.
    »Liebe Witwe Müller«, sagte der Professor Gotthold Kittguß und war nun wieder ganz daheim in seiner mildenFerne. »Es ist ausgemacht und mit vielen Stellen der Heiligen Schrift belegt, daß Gott seine Boten und Engel durchaus nicht immer in der seligen weißen Flügelgestalt auf diese Erde sendet, wie wir als einfältige Kinder wähnten.«
    Und als die Müllern noch weiter widersprechen wollte: »Genug und übergenug, es ist endgültig beschlossen: ich folge dem Ruf. Morgen in der Frühe fahre ich nach Unsadel.«

2. KAPITEL
    Worin Professor Kittguß einen fetten Bauern am Baum hängen und ein Mädchen am Zaun weinen sieht
    Der frühe Oktobernachmittag war sonnig und windstill. Dennoch – wenn Professor Kittguß bei seinem Marsch auf dem sandigen Heckenweg einen Vogel im Geäst aufscheuchte, glitten lautlos von der flügelschlagenden Flucht des Tieres viele goldene, rote und braune Blätter zur Erde.
    Langsam und bedächtig wandelte der alte Lehrer den Sandweg. Ab und zu blieb er stehen, setzte die Reisetasche ab, trocknete die Stirn vom Schweiß der ungewohnten Anstrengung und zog die Uhr zu Rate. Nun ging er schon fast zwei Stunden, auf der Station aber hatten sie gesagt, es sei nur eine knappe Stunde bis Unsadel. Doch soviel er auch nach Haus und Mensch aussah, es waren nur die Hecken da und hinter den Hecktoren herbstlich stille Äcker.
    »Ja, ja«, seufzte der Professor, aber er war nicht unzufrieden, nein, die weite Stille mit dem hohen, blaßblauen Himmel darüber tat ihm wohl. »Den Abendzug heute werde ich freilich nicht mehr erreichen. Nun – es wirdsich Gelegenheit finden, im Dorf zu übernachten. Und um so gründlicher kann ich dann bis morgen abend alles regeln.«
    Was dies »Alles-Regeln« eigentlich hieß, davon hatte er nur eine sehr unklare, nein, gar keine Vorstellung aber –: »Die Rosemarie wird mir schon sagen, was ich zu tun habe. Irgendwie wird es sich um ihr Erbteil handeln.«
    Er seufzte wieder »Ja, ja«, nahm die Tasche und wandelte weiter. Die Hecken schienen kein Ende zu nehmen, der einsame Sandweg schlängelte sich bald nach rechts, bald nach links. Manchmal stand auch eine hohe Pappel oder eine Weide da, dann betrachtete der Professor den Baum, beifällig nickend, »Ja, ja«, und setzte sich langsam wieder in Gang.
    Eben stellte er fest, daß er nun schon zweiundeinehalbe Stunde unterwegs war, als er wie eine Frucht zwischen den Heckenzweigen das Gesicht eines Jungen über sich entdeckte, ein derbes, rotes Gesicht, mit einem blonden, gänzlich ungekämmten Schopf darüber. Dies Gesicht betrachtete den Professor scharf.
    »Lieber Sohn«, fragte der. »Wie lange gehe ich noch bis Unsadel?«
    »Sie sollen nicht nach Rosemarie fragen, sondern bei Päule Schlieker ein Zimmer mieten«, flüsterte der Junge eindringlich.
    »Lieber Sohn!« rief der Professor. »Lieber Junge, warte doch …«
    Aber die Zweige rauschten auf, und die Hecke war ohne Gesicht.
    Der Junge, lieb oder nicht, war fort. Der Professor trabte beinahe zum nächsten Hecktor, doch auf der Koppel hinter der Hecke sah er nur Rinder und einen wolligen Schäferspitz, der wütend zu bellen anfing. Kein Junge – soviel auch der Professor gegen das Gebell anlocken mochte.
    So ging er denn schließlich weiter, verwundert, verdrossen. »Nicht fragen soll ich, sondern einfach bei
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