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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman
Autoren: Hans Fallada
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Hilflosigkeit und Blödheit. Er machte ein paar Schritte, zögerte, tat noch einen Blick – nichts war verändert – und setzte sich auf den Sessel.
    Er sah in das Geschriebene …: »Wie Harduinus mit einer alten Münze beweist«, stand da.
    »Richtig. Nun wollte ich noch den jüngeren Plinius anführen.« Und laut sprach er. »Setze dich doch hin, mein Junge, da auf den Stuhl, du siehst müde aus.« Und wieder zu sich: »Steht er noch da? Unverändert. Beinahe ist es wie ein Traum. Hätte ihn die Müllern nicht gebracht …Also, der jüngere Plinius. Er muß es in seiner Lobrede auf Trajan Anno 100 gesagt haben …«
    Die rotgeschwollene Hand schob sich ihm zwischen Auge und Manuskript. Sie verschwand, und auf der Erklärten Offenbarung Johannis lag ein Zettel, ein Wisch, ein schmutziges Blatt, sichtlich aus einem Schulheft gerissen, aber ebenso sichtlich am rechten Platz, denn: »Herrn Professor Gotthold Kittguß« stand darauf zu lesen. Der Professor sah hoch, der Junge war lautlos auf den Platz an der Tür zurückgeglitten. Wieder hatte er sich nicht gesetzt, sondern stand dort mit einem Gesichtsausdruck, als grübele er etwa über dem Unterschied zwischen Schaf und Kuh.
    »Herrn Professor Gotthold Kittguß« stand noch immer auf dem Schreiblappen. Für dieses Mal dachte der Professor nicht an das kostbare Manuskript, das darunter lag. Er entfaltete das nur ineinandergesteckte Blatt, las die Überschrift, stutzte, las noch einmal, sah zur Tür (der Junge stand) und machte sich endlich an den Brief.
    »Lieber Pate«, las er. »Bei uns in Unsadel geht die Rede: ein Gau ist rauh, aber ein Schlieker ist ein Betrüger. Erst bin ich bei den Gauens geschlagen, nun wollen die Schliekers mich um mein Erbteil bringen. Du hast meinem seligen Vater die wunderbaren Zeiten, in die ich hineingeboren sei, zugesagt – willst Du nicht einmal kommen und nach mir sehen? Es eilt sehr. Matthäus 7,7. Deine Rosemarie«
    Eine Nachschrift: »Ob Du kommst oder nicht, gib dem Philipp Geld für Essen, er hat zwei Tage zurückzulaufen.«
    Die zweite Nachschrift: »Er soll Dir den Brief nur geben, wenn Du der rechte Mann für uns bist.«
    »Oh, mein Herr und mein Gott!« rief Professor Kittguß über diesem jämmerlich stolzen Brief zu sich und legte die Hände recht theatralisch an den Kopf: »Was soll dies?! Was soll mir dies?!«
    Er starrte auf den Brief. Ihm war wie einem Schläfer, der, aus einem sanften Traum geweckt, in einen schlimmeren Traum verstrickt wird, der nicht mehr weiß: wacht er, schläft er, wo ist er?
    »Ein Gau ist rauh, aber ein Schlieker ist ein Betrüger«, murmelte er. »Rosemarie – Philipp – zwei Tage Weg – Narren und Narrenstreiche«, dachte er unwillig. »Phi lipp !«
    Etwas wie ein Geräusch ließ ihn hochsehen, er blickte zur Tür, der Platz an der Tür war leer. Mit einem völlig jugendlichen Ruck war der Professor hoch und lief, »Frau Müller! Frau Müller!« rufend, in den Flur.
    Die Tür zum Treppenhaus stand offen, er meinte Poltern auf den unteren Stufen zu hören. »Der Junge, der arme, blödsinnige Junge – ich muß ihm Geld geben!« rief er aufgeregt zur Müllern.
    Seine Versorgerin sah ihn wortlos an.
    Er überwand sich. »Philipp!« rief er ins Treppenhaus hinab. »Philipp! Du bekommst noch Geld …«
    Der Professor wurde ein wenig rot unter dem Blick der Müllern. »Er hat noch zwei Tage zu laufen«, versuchte er zu erklären. »Und er hat Hunger. Ich habe es gesehen, als er meinen Malzzucker aß …«
    »Ihren bayerischen Malzzucker, Herr Professor«, sagte die Müllern voll Empörung. »Solche wie die«, erklärte sie mit all der Verachtung der Armen für die Ärmsten, »kom men nie um.«
    »Frau Müller, Witwe Müller«, sagte der Professor mit erhobener Stimme, »was steht Matthäus 7,7?«
    Sie antwortete nicht, aber sie lavierte den Aufgeregten, ohne daß er dessen achtete, in sein Zimmer zurück.
    »Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.«
    Er stand an seinem Schreibtisch, in der stillen, geborgenenHelle des Arbeitszimmers, ein alter, noch stattlicher Mann, zur Stunde ein wenig erregt.
    »Ich«, sagte er leise, »bin gebeten worden. Ich«, sagte er, »bin gesucht worden. Bei mir hat er angeklopft. Frau Müller, ich fahre morgen nach Unsadel.«
    »Unsadel –?« fragte die Müllern, »wo ist denn das?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte der Professor. »Aber auf der Eisenbahn werden sie es wissen. Dies zu wissen ist dort ihr
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