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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war
Autoren: Pistorius Martin
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zu machen, indem ich jeden Tag jede einzelne Stunde herunterzähle, bis es endlich nach Kanada geht, versuche ich mich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Meine größte Ablenkung ist ein Ring, den ich für Joanna anfertigen lasse. Es ist die Kopie eines Exemplars, das sie billig erstanden hat, aber sehr gerne mag, und ich habe den Juwelier gebeten, dafür echtes Gold zu verwenden, überzogen mit einem Muster ineinander verschlungener Blätter und verziert mit winzigen Smaragden. Den werde ich Joanna an jenem Tag überreichen, an dem ich sie bitte, meine Frau zu werden.
    »Martin?«
    Mein Vater schaut mich an.
    »Hörst du mir zu?«
    Manchmal bin ich ganz froh, nichts sagen zu müssen.
    »Gut, dann stimmst du also zu, dass du eine Verantwortung hast, den anderen mitzuteilen, wie es dir geht?«, fragt er. »Ich weiß, dass du wichtigere Dinge zu tun hattest, als du unterwegs warst, aber du hättest uns wenigstens informieren müssen.«
    Ich nicke.
    Die Miene meines Vaters entspannt sich ein wenig, als er aufsteht und geht. Für den Moment ist er beruhigt. Seine Welt ist wieder in Ordnung, da ich nach Hause zurückgefunden habe. Als er das Zimmer verlässt, wird mir zum ersten Mal bewusst, wie hart es meine Eltern treffen wird, wenn ich ihnen eröffne, dass ich nach England ziehe, um dort mit Joanna zu leben. Ich verlasse ja nicht nur das Zuhause, ich ziehe ans andere Ende der Welt. Während Teenager vielleicht gedankenlos gegen ihre Eltern angehen, wenn sie sich ihre Freiheit erkämpfen wollen, kann ich nicht so tun, als wüsste ich nicht, dass sich auch das Leben meiner Eltern für immer verändern wird, wenn ich einen neuen Lebensweg einschlage.

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    59
Geständnisse
    M ir war gar nicht bewusst, dass sich die Inhalte von Träumen ständig ändern, bis ich mal auf meine eigenen achtete und dabei feststellte, wie gravierend sie sich von den früheren unterschieden. Diese Veränderung hatte ich bemerkt, als Joanna und ich in Kanada waren. Im Rahmen des Kongresses hatten wir an Diane Bryens Traum-Workshop teilgenommen, den ich nach jenem ersten im Kommunikations-Institut noch mehrere Male mitgemacht hatte.
    »Wovon soll ich träumen, wenn es nach dir geht?«, hatte Joanna gefragt, als wir wieder mal zusammengluckten.
    Ich erinnerte mich an all die Male nach der Begegnung mit Diane, dass ich mich gefragt hatte, welchen Traum zu träumen ich mir zutraute. Als ich mir diese Frage zum ersten Mal stellte, ging es mir nur darum, besser kommunizieren und mich in die Welt begeben zu können. Nachdem ich das erreicht hatte und zu arbeiten begann, träumte ich von einem Leben mit größerer Unabhängigkeit und davon, jemanden zu finden, mit dem ich dies teilen konnte. Jetzt habe ich Joanna gefunden, und ihr Traum ist auch meiner: unsere Hochzeit und ein gemeinsames Leben.
    Diese Dinge sind jetzt schon beinahe in Reichweite, denn seit ich aus England zurück bin, bemühe ich mich um ein Visum für den Umzug nach Großbritannien. Meine Eltern wissen, dass das Verfahren läuft, ebenso wie mein Bruder David, doch wir haben noch über keinerlei Einzelheiten gesprochen, da ich mich sehr zurückhalte, meine Pläne mit ihnen zu besprechen, bevor diese nicht unter Dach und Fach sind. Während des Traum-Workshops wurde mir jedoch klar, dass ich den anderen Teilnehmern erzählen müsse, welche Erwartungen ich an mein Leben habe, und so sagte ich ihnen, Joanna und ich wollten heiraten.
    Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, denn unter den Wissenschaftlern und Fachleuten, den anderen Benutzern und deren Familien innerhalb der AAC -Gemeinschaft bin ich sehr bekannt. Obwohl ich befürchtet hatte, manch einer könne mir vielleicht verübeln, dass ich mein Leben in Südafrika und alles, was ich dort an Arbeit geleistet habe, aufgebe, reagierten meine Freunde und Kollegen positiver, als ich zu hoffen gewagt hatte. Wir feierten alle gemeinsam, und seitdem zähle ich nur noch die Wochen, bis ich nach England reisen kann.
    Natürlich wird es mir alles andere als leichtfallen, meine Eltern zu verlassen, und die Vorstellung, mich bald von Kojak trennen zu müssen, ist nahezu unerträglich – schließlich waren wir unzertrennliche Freunde. Obwohl Joanna sich nach einer Möglichkeit erkundigt hat, ihn mit nach England zu nehmen, wissen wir beide, dass es keinen Sinn hat, denn sechs Monate Quarantäne würde er nicht überstehen. Ich bin sicher, dass Mam und Dad damit einverstanden sind, wenn er bei ihnen bleibt, weil sie ihn inzwischen
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