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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel
Autoren: Christine Lehmann
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drei Männer waren darunter, zwischen sechzig und achtzig, die gern nach allen Seiten gelächelt hätten, wenn der Anlass es erlaubt hätte, und beflissen waren, Platz zu machen und beiseitezutreten.
    Ein weiterer Mann, der allen den Vortritt gelassen hatte, aber keineswegs so gezähmt war wie die anderen, bahnte sich einen Weg zum Kopfende des Betts. Er war vergleichsweise jung, trug einen gepflegten schwarzen Bart und über einem T-Shirt mit Fischsymbol einen eleganten dunklen Anzug aus leichtem Tuch: Pfarrer Frischlin.
    Er stellte eine schwarze Tasche neben dem Bett ab und breitete auf dem Nachttisch ein Deckchen mit dem eingestickten Lamm Gottes aus. Darauf stellte er ein Kreuz aus hellem Holz mit abgerundeten Ecken, ein unerträglicher protestantischer Euphemismus verglichen mit dem Leiden Christi, das in meinem Mutterhaus mit spitzen Knien, zerschundenem Leib, vorstehenden Rippen und Dornenkrone im Herrgottswinkel blutete.
    »Wir haben uns hier zur Aussegnung versammelt«, nahm er mit beeindruckend tiefer Stimme das Wort. »Der Friede Gottes sei mit uns allen. Amen.«
    »Amen«, raunte es ihm vielstimmig entgegen.
    Richard war an der Tür stehen geblieben.
    »Herr, unser Gott, dein sind wir im Leben und Sterben. Du hast durch Jesus Christus dem Tod die Macht genommen.«
    Richard lehnte sich gegen den Türrahmen.
    »Wir bitten dich: Sei in dieser schweren Stunde bei uns mit deinem Trost und deiner Gnade. Amen.«
    Ich musterte Füße, schief gelaufene cremeweiße Sandalen mit verrutschten fleischfarbenen Nylonsöckchen, gelochte braune Slipper an den Füßen eines der gezähmten Männer, rosafarbene Chucks unter den Jeans der jüngsten der drei Landschönheiten, Ethnozehensandalen an denen der ältesten. Am Fußende des Betts zuckten außerdem nackte Zehen in braunen Trekkingsandalen. Darüber, hochgekrempelt, ein Paar Jeans, gut gefüllt und glatt gerundet. Die kurzen Haare waren grausilbern wie Stacheldraht und akkurat auf Nackenkante geschnitten. Die Augen hatte sie, soviel ich von schräg hinten sehen konnte, nicht auf den Pfarrer gerichtet, sondern auf die sterblichen Überreste unter der Wolldecke.
    »Guter Gott, nun liegt der Mensch leblos vor uns, herausgerissen aus unserer Mitte«, tönte Frischlin. »Wir hoffen zu dir, dass du unseren Gatten, Vater und Freund bergen wirst. Im Vertrauen auf deine Gnade übergeben wir ihn dir. Denn Christus ist von den Toten auferstanden. Wir danken dir für alles Gute, das Martinus an uns zu tun versucht hat.«
    Richard straffte sich, sein Blick wanderte zu mir herüber. Er atmete tief ein.
    »Wir bitten dich, hilf uns in unsrer Angst, dass wir wissen: Du meinst es gut mit dem, den du gerufen hast für immer. Denn du bist barmherzig. Auch mit uns meinst du es gut, denn du willst das Leben.«
    »Amen.«
    Frischlin holte den Blick aus den Ecken über unseren Köpfen und schaute uns an. »Jetzt kann ein persönliches Gebet gesprochen werden.«
    Ich fühlte mich aufgerufen wie in der Schule und ebenso blank im Gehirn. Aber Gott sei Dank erwartete von mir niemand ein vernünftiges oder gottesfürchtiges Wort.
    »Herr Jesus Christus«, nahm der gezähmte Mann mit den Lochschuhen unverzüglich das Wort, »hart trifft mich der Tod meines Cousins. Vergib mir, falls ich in meinem Herzen irgendeinen selbstgerechten Zorn hegen sollte. Amen.«
    Es lief wie geprobt.
    »Herr, Jesus Christus«, intonierte eine Frau mit großen blauen Augen, die Frischlin Hermine nannte, »hilf uns zu guten Gedanken. Amen.«
    Mehr postmortales Mobbing ging auch kaum noch.
    »Möchte noch jemand ein persönliches Wort sprechen?«, forderte Frischlin mehr als er fragte.
    Die Frau mit dem Silberdrahthaar holte Luft.
    »Ja, Barbara.«
    »Tja, Onkel Martinus«, sagte sie mit um keinerlei weibliche Helligkeit bemühter Stimme. »Wir haben so manchen Strauß ausgefochten. Vermutlich hast du es gut gemeint. Aber verstanden habe ich dich nicht. Geh in Frieden.«
    Aber geh!, ergänzte ich im Stillen.
    Kurz blitzte mich aus grauen Augen ihr Blick an, eine Mischung aus Verschwörung, Spott und Geringschätzung. Mein Blutdruck fuhr hoch. Im nächsten Moment hatte sie die Augen abgewandt. Barbara!, durchrieselte es mich. Barbara!
    »Der allmächtige Gott erbarme sich deiner. Er sei dir gnädig und nehme dich auf in sein ewiges Reich. Amen.« Frischlin segnete den Toten mit einer Geschmeidigkeit, als habe er als Bub nie vom Lokomotivfuhren geträumt, sondern nur vom Segnen. Liebevoll schlug er dann die Bibel auf. Die
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