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Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur

Titel: Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Autoren: Robert Misik
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Mühe Chancen zu neuen Erfahrungen wahrnehmen wie in der Shoppingwelt? War es je für so viele und so leicht möglich,
     über die engen Grenzen des bisher Erlebten und Bekannten hinauszugehen?
    |41|
    Eine globale Zeichensprache für alle Kulturen.
    Coca-Cola-Werbung in Bangkok
    |43| Ohne Zweifel eröffnet der Konsum Erfahrungswelten, die ansonsten verschlossen blieben. Shopping wird zu einer gleichsam universalen
     Lebenseinstellung, wenn kaum mehr soziale Kontakte vorstellbar sind, die nicht über Konsum vermittelt sind. Wie schwierig
     und beengend ein gesellschaftliches Leben abseits des konsumistischen Orbits ist, hat die New Yorker Journalistin Judith Levine
     in einem bemerkenswerten Selbstexperiment ergründet. Sie beschloss eines Tages, nur mehr das »Nö tigste « einzukaufen – dazu zählten für sie die
New York Times
, ihr Internetzugang und Futter für ihre diabetische Katze. »Wein, französischer Öko-Kaffee und Fitness-Studio dagegen nicht.
     Auch Kino, Süßes, CDs, Bücher waren verboten«, berichtet die
Süddeutsche Zeitung
42 . Über dieses kurzweilige, doch sehr frustrierende Experiment hat sie in ihrem Buch »Not Buying It« berichtet. |44| »Wenn mir dieses Jahr etwas beigebracht hat«, schreibt Levine, »dann das: Ja, auch ich bin ein Shopper.« Wenn man kein neues
     Lokal kennenlernt, keine Zeitschrift durchblättert, kein Kino besucht, hat man nichts mehr, worüber man mit seinen Freunden
     noch reden kann – was Gott sei Dank nicht stört, da man sie ohnehin kaum mehr trifft, wenn selbst der Besuch der nächsten
     Eckkneipe verboten ist. Dabei lebte Levine natürlich nicht in strenger Abgeschiedenheit. Nur nahm sie keine kommerziellen
     Angebote mehr wahr – die städtische Bücherei, Kinovorführungen, die gratis waren, frequentierte sie umso häufiger. Und dennoch
     ihr Resümee: »Außerhalb der Konsumwelt zu existieren bedeutete, in einer parallelen Realität zu leben, die mit der meiner
     Freunde und Kolleginnen nichts gemeinsam hatte.« Diese Erkenntnis, die für Langzeitarbeitslose gewiss nicht völlig neu ist,
     findet sich in ihrem amüsanten Buch – das man jetzt auch auf Deutsch kaufen kann. 43
    Es ist, sagt der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth, »heute kaum mehr vorstellbar, dass Individuen zu einer sozialen
     Identität gelangen, ohne diese in einem Ensemble persönlich konsumierter Güter auszudrücken«. 44 Die These, dass Shopping die zeitgenössische Form ist, sich in Verhältnis zu unserer sozialen Umgebung zu setzen, ist also
     nicht nur deshalb plausibel, weil wir über den Kaufakt Puzzleteile unserer Identität zusammenkaufen, sondern weil mit den
     Gütern auch Erlebnisse erworben werden, ja, weil Erlebnisse selbst heute am Markt gehandelt werden – Erlebnisse, die wir meist
     mit Anderen teilen (von ein paar, häufig schlüpfrigen, Ausnahmefällen abgesehen, wie etwa den ebenso zweifelhaften wie solitären
     Vergnügungen in den Videokabinen der Pornokinos). Auch materielle Güter betonen bei dem Appell an den Verbraucher immer stärker
     »den Erlebniswert der Angebote« (Schulze). Das gilt für Autos, die ein einzigartiges »Fahr erlebnis « |45| versprechen, und noch mehr natürlich für Angebote, die materiell im strengen Sinne gar nicht erworben werden können, sondern
     die nur mehr als Erlebnis erwerbbar sind: für den Tourismus, für den Nachmittag im Spaßbad, für das Rockkonzert. Ist das Erlebnis
     gekauft und konsumiert, hat der Verbraucher nichts, gar nichts, allenfalls die Erinnerung an ein, hoffentlich eindrucksvolles,
     Erlebnis. Werner Schulze hat deshalb nicht zufällig sein soziologisches Standardwerk »Die Erlebnisgesellschaft« genannt. In
     diesem unterscheidet er innenorientierte und außenorientierte (Konsum-)Motivation. Bei der ersten Variante wird nur konsumiert,
     damit im »Inneren« des Konsumenten »etwas« passiert; beim außenorentierten Konsum zählen psychische Faktoren überhaupt nicht,
     sondern nur der praktische Gebrauchswert. So gesehen, resümiert Schulze, sei der Markt für Investitionsgüter das letzte Reservat
     von Wirtschaftsbeziehungen, für deren Verständnis es genügt, außenorientierte Motivationen zu untersuchen, ansonsten falle
     es schwer, noch irgendwelche Angebote ausfindig zu machen, deren Konsum überwiegend außenorientiert motiviert wäre – »von
     Schuhcreme, Kochsalz, Blumendünger und ähnlichen Nebensächlichkeiten abgesehen« 45 . Meist mischen sich außenorientierte und innenorientierte
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