Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles ist mir nicht genug

Alles ist mir nicht genug

Titel: Alles ist mir nicht genug
Autoren: Cecily von Ziegesar
Vom Netzwerk:
und Clark zweimal miteinander geschlafen. Das erste Mal am
helllichten Tag, aber da hatte sie sich so geniert, dass sie kaum etwas davon
mitgekriegt hatte. Beim zweiten Mal war sie lockerer gewesen, trotzdem
verstand sie das Trara nicht, das darum gemacht wurde. Ihr war der Sex eher
lachhaft und urtümlich vorgekommen. Es war wirklich genau dasselbe, was
brünstige Zebras und Hyänen in Tierfilmen so machten. Gleichzeitig war sie
aber auch froh, keine Jungfrau mehr zu sein. Sie f ühl te sich
seitdem ein Stück kompletter. Ein weiterer Punkt in ihrem Lebenslauf war
erledigt und abgehakt.
    »Verstehe.«
Dan nahm noch einen Zug. Und noch einen. Mit dem Zeigefinger fuhr er an der
Naht seines weißen kaffeefleckigen Kissens entlang. Er war noch Jungfrau und
Vanessa nicht. Er wusste nicht, wie er sich dabei vorkommen sollte.
    Doch, im
Grunde wusste er es schon. Er kam sich gehemmt vor, doof, klein, mager,
bleich, daneben und total unzulänglich. Wieso hatte sie mit diesem anderen
Typen schlafen müssen?
    »Hey, ich
weiß, dass du noch Jungfrau bist«, sagte Vanessa offen. »Aber das muss ja nicht
so bleiben.« Sie zog viel sagend grinsend ihre dichten dunklen Augenbrauen
hoch.
    Dan blickte
auf und grinste zurück, wobei sich seine Wangen vor Verlegenheit rührend rosig
färbten. »Echt?«
    Vanessa nickte
und rückte ein Stück an ihn heran. »Echt!« Sie legte ihm beide Hände auf den
knochigen Brustkorb und drückte ihn auf die Matratze hinunter. Dann nahm sie
ihm die Zigarette aus den Fingern und ertränkte sie in der halb geleerten
Tasse mit abgestandenem Kaffee, die auf dem Nachttisch stand. »Keine Angst«,
sagte sie mit kehliger Stimme, die nach Frau mit viel Erfahrung klingen sollte.
»Ich weiß, was ich tue.«
    Sie küsste ihn
sanft und begann, sie beide auszuziehen; zuerst sein graues T-Shirt und dann
ihren schwarzen Rolli, unter dem sie ein schwarzes Trägershirt anhatte. Vanessa
trug immer nur schwarze Sachen.
    Dan holte tief
Luft und schloss die Augen. Hm, so hatte er sich sein erstes Mal aber nicht
vorgestellt. Auf der Top- Ten- Liste der bewegendsten, poetischsten
Lebenserfahrungen stand Sex für ihn ganz oben, gleich neben Geburt und Tod. Man
erledigte ihn nicht mal eben schnell mit seiner Freundin an einem langweiligen
Samstagabend vor den Halbjahresprüfungen, sondern zelebrierte ihn, nachdem man
einander bereits auf allen anderen Ebenen - intellektuell, spirituell, philosophisch
- gründlich erforscht hatte. Dan hatte sogar schon mal mit dem Gedanken
gespielt, damit bis zur Ehe zu warten, bis er sich reif genug fühlte, Kinder zu
zeugen. Er wollte später fünf Kinder, die die Namen seiner
Lieblingsschriftsteller tragen sollten: Kafka, Goethe, Sartre, Camus und Keats.
Vielleicht würde er auch nicht ganz so lang warten, aber wenn es so weit war,
sollte es ein schrittweises gegenseitiges Erkunden sein, wie das gemeinsame
Erlernen einer neuen Sprache.
    Bloß dass
Vanessa die Sprache schon mit einem anderen Typen gelernt hatte.
    »Hey, du hast
ja total schmale Füße!«, stellte sie fest, als sie ihm auf dem Boden kniend die
Strümpfe abstreifte.
    Dan setzte
sich aufrecht hin und zog seine Füße hoch. »Warte mal.«
    Vanessa, die
nur noch ihre schwarze Strumpfhose und ihr schwarzes Trägershirt anhatte,
kletterte wieder aufs Bett zurück und setzte sich im Schneidersitz neben ihn.
»Was ist denn?«
    »Ich glaub,
ich will das nicht.« Dan verschränkte die mageren Arme vor der bloßen Brust.
Obwohl er seine Kordhose noch anhatte, fühlte er sich sehr nackt. »Also...
nicht jetzt gleich, meine ich.«
    Vanessa
stupste ihn kichernd an. »Hey, ich war beim ersten Mal auch ganz schön nervös.
Aber es ist echt keine große Sache«, beruhigte sie ihn. »Versprochen.«
    Dan schluckte
und schaute zur Decke. Er fixierte einen Riss im Stuck über seinem Kopf. »Ich
würde einfach lieber warten, bis... bis sich das Ganze organisch von selbst
entwickelt.«
    »O-kay«, sagte
Vanessa gedehnt. »Aber hier geht es bloß um Sex, weißt du. Nicht um Poesie.«
    Sie verstand
es nicht. Ganz klar. Für Dan war es natürlich Poesie.
Wahrscheinlich sogar die bedeutsamste Poesie, die er je schreiben würde.
    Er angelte
nach seinem T-Shirt und zog es sich über den Kopf. »Ich würde einfach lieber
noch warten, okay? Das ist alles.«
    »Gut.« Vanessa
spürte, wie ihr langsam die Geduld ausging. Dan analysierte immer alles gnadenlos
durch und zer- fieselte es in Form von Gedichten in seinem kleinen schwarzen
Notizbuch, bis nichts
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher