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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün
Autoren: David Foster Wallace
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aus wie der leibhaftige Tod, eine Mumie in Verbänden und mit blauen Augen, durch Schläuche ernährt und durch Schläuche, die sich oft rot färben, von Körperflüssigkeiten befreit. Jack Lord taucht am Bett auf, ganz in Schwarz gekleidet. Dass er eine schwarze Schlaghose trägt, symbolisiert, was wir schon wissen: Dieser Mann ist über alle Lächerlichkeiten erhaben.
    Lord fragt Dave, wie es die Tage denn so laufe da unten. Eine von diesen kalten Fragen, die die Antwort schon in sich tragen. Lords Prophezeiung ist mit unfehlbarer Logik eingetreten. Mark, der draußen immer noch auf freiem Fuß ist, wenn auch wahrscheinlich nur lange genug, bis jemand aus seinem Gefolge drinnen seiner fühlerkommunizierten Forderung nachgekommen ist, hat hundert Zigaretten auf den bandagierten Kopf des Bogenschützen ausgesetzt. Einhundert 100s. Die gute Sorte. Die einfach scheiße ewig brennt. Es hat sich rumgesprochen, Junge. Nicht mal diese Krankenstation ist sicher, schließlich ist Daves Leben jetzt gleichzeitig wertlos und wertvoll. Lord fordert Dave auf, sich mal den Kalfakter von Krankenwärter anzusehen, der da drüben sein GrinchGrinsen grinst und eine stumpfe Kanüle mit etwas überhaupt nicht verheißungsvoll Aussehendem aufzieht; und vor den Fenstern der Krankenstation warten zigarettensüchtige Häftlingsscharen, unerbittlich und geduldig, und schlagen sich sandgefüllte Socken in die Handflächen.
    Da unten ist es eine Frage der Zeit, Junge. Jack Lord wirdsie nicht mit Wiederholungen vergeuden. Er ist ein wortkarger Mann, das ist bekannt. Dave kann sich abmurksen lassen, oder er kann den Fälscher verpfeifen, für den er ein Materialfehler ist, ein Schmutzfleck, und Mark hat Kapazitäten und Kapital, und seine Lieferanten haben die Gelegenheit, um dem Bogenschützen schwere und letale Körperverletzungen zuzufügen. Dem Direktor sind die hilfreichen Hände juristisch gebunden. Dave muss ihn helfen lassen. Er muss geben, um zu empfangen. Der Tod ist umsonst, aber das Leben kostet.
    Ambrose sagt uns, dieses Gespräch, dieser Dialog zwischen Dave in weißen Verbänden und Lord in schwarzer Mode werde mit einem Geschick gehandhabt, das unseren Beifall verdiene, eine aus der Präzision geborene ausführliche Sparsamkeit, die Lohn verheiße. Sie »klingt echt«. Und dass das Ende der Erzählung »wie alle tragikomischen climae wahrer apokes« (was ich ums Verrecken in keinem Wörterbuch oder Thesaurus finden kann) seines Pathos wegen nicht weniger triumphal ausfalle.
    Okay, Ambrose gibt zu – ein Pedant ist er ja nicht –, dass sich die Erzählung ein Bein ausreiße – Rumpelstilzchen sei daneben ein Waisenkind –, um zu verdeutlichen, dass Daves kulminative Gesangsverweigerung nichts mit seiner schuldigen Unschuld an Aufspießung und Tod seiner einzigen großen Liebe zu tun habe. Dass hier weit weniger Selbsthass als Selbstlosigkeit performativ wiedergegeben werde. An sich sei Selbstlosigkeit natürlich der leibhaftige Schrecken; These des Textes sei aber, dass sie in ihrem grausig stummen Zentrum den grünen Kern des wahren Ichs aufbewahre.
    Ambrose konzediert, dass hier technisch einiges versaubeutelt worden ist, denn die Erzählung hackt sich gewissermaßen die Beine ihrer eigenen These ab, wenn Dave zugibt, dass auch seine Gesangsverweigerung Jack Lord gegenüber zutiefstegoistisch ist. Dass sie mit Begehren zu tun hat. Dass es ihn, Dave, nach etwas gelüstet, etwas Bestimmtem, auch in den Tiefen der Verletzungen und der Billigschmerzmittel, über denen Jack Lords berühmtes und logisches Bild schwimme.
    Sehen Sie, es hat mit Ehre zu tun, sagt der Häftling.
    Dave erklärt einer Ikone der Populärkultur, er habe das Gefühl, seine Erfahrungen, sein Scheitern, sein Prozess, seine Leiden und Qualen, sowohl da draußen als auch im Zuchthaus, hätten ihm gewisse Einsichten verschafft, die ihm weitergeholfen hätten, weniger um »erwachsen zu werden«, als ganz einfach, um in der Welt der Erwachsenen klarzukommen. Die Welt der Erwachsenen hat sich für Dave als eine von Grund auf verschlagene und beschissene Welt herausgestellt. Sie ist gefährlich, oft traurig und immer extrem unsicher. Er schlackert mit den Ohren, wenn er sieht, wie unsicher und zerbrechlich sein Platz in diesem Leben sei. Er wisse jetzt, dass einem fast alles, was man in diesem Leben sein Eigen nenne, von anderen Menschen genommen werden könne, vorausgesetzt, sie wollen es intensiv genug. Sie könnten einem die Aufenthalts- und Bewegungsfreiheit
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