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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit
Autoren: Ennio Flaiano
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zwischen den Bäumen und sagte:«Bleib», würde ich bleiben? Es war diese Ungewissheit, die mich ärgerte. Nicht etwa, dass die Frau an Bedeutung
gewonnen hätte in meinen Augen, aber ich begann zu fürchten, dass ein widerwärtiger Plan sich dahinter verbergen könnte, und ich fühlte mich außerstande, ihn zu durchschauen, ich wollte es nicht einmal. Doch was für ein Plan? Es hatte keinen Sinn, die Bäume und die Raben danach zu fragen, diese Natur, die schließlich immer von deinem uralten Sieg spricht und für die Besiegten Partei ergreift.
    Die Frau kam eilig zum Wildbach gelaufen. So vornehm wie in einem römischen Umhang, aber barfuß. Sie kam auf mich zu und trug irgendetwas, ich erkannte nicht genau, was. Als sie bei mir war, setzte sie sich hin und öffnete einen aus Stroh geflochtenen Korb: Eier lagen darin und ein Fladenbrot, wie es die Eingeborenen backen, indem sie einen glühenden Stein in den Mehlteig legen. Es war noch warm.
    Sie zweifelte nicht einmal daran, dass ich mich neben sie setzen würde. Es war stillschweigend abgemacht, dass ich ihrer Gabe Ehre erweisen musste, und während ich die Eier trank (ich glaube, keine Tätigkeit ist bedrückender als diese, wenn man dabei beobachtet wird), hielt sie die Hände im Schoß: geradeso wie manche Eltern ihrem Kleinen befriedigt zuschauen, wenn er das Essen nicht verweigert. Sie sah mich immer mit ihren halbgeschlossenen Augen an, und jetzt bemerkte ich,
dass sie sehr helle Augen hatte, grüngrau, jedenfalls waren sie nicht von dieser unverschämten haselnussbraunen Farbe wie die Augen aller anderen Frauen dort unten. Die portugiesischen Vorfahren hatten eine Spur hinterlassen, wenn nicht gar ein Prokonsul oder ein Löwenjäger. Und ich wunderte mich immer mehr darüber, warum wohl eine solche Prinzessin so heruntergekommen war, dass sie in diesem Tiefland lebte, während in den Städten irgendein General oder irgendein Chauffeur äußerst erfreut gewesen wären, sie beschützen zu dürfen. Unter ihrem Turban schauten Haarbüschel hervor: Sie hatte ihr Haar also nicht zu Zöpfchen geflochten.«Lass sehen», sagte ich, und ich versuchte ihr den Turban abzunehmen. Sie stieß mich schroff zurück und nahm sich selbst den Turban ab, aber gerade nur so lange, damit ich feststellen konnte, dass ihre Haare beinahe glatt und nicht geflochten waren. Dann wickelte sie sich den Turban wieder um, so unbeholfen, als ob der Kopf nicht ihr gehörte.
    Unser gezwungenes Schweigen fing an, mir unbehaglich zu werden. Daher tat ich das, was jeder Soldat in einem fremden Land tut: Ich nahm mein Notizbuch und zeichnete einen Hund. Ich zeigte ihr die Zeichnung, und sie sagte: «Chelbì . »
    Sehr gut, chelbì . Dann zeichnete ich ein Huhn, und sie sagte: «Doro . » Wunderbar, machen wir
weiter. Ich zeichnete eine nackte Frau und zeigte auf ihre Haare, auf Nase, Hals, Mund. Als ich auf andere Körperteile zeigte, lachte sie, verbarg ihren Mund in der Hand und gab keine Antwort. Ich zeichnete einen Fisch, einen Mond. Ich zeichnete ein Krokodil. «Harghez!» , rief sie erschrocken, als hätte meine Zeichnung lebendig werden können, als hätte das Krokodil auf die Erde fallen und seine wahren Ausmaße annehmen können.
    Ich blätterte eine neue Seite um. Sie vergnügte sich dabei, mich so rasch zeichnen zu sehen, und kaum deutete ich eine neue Zeichnung an, unterbrach sie mich, um mir die Mühe, sie fertigzumachen, zu ersparen, und nannte den Namen des Gegenstandes, den ich darstellen wollte. So füllte ich einige Seiten. Jedes Mal, wenn ich versuchte, das Spiel so weit zu treiben, dass es über die Grenzen des Anstands hinausging, lachte sie, verbarg den Mund hinter der Hand und gab keine Antwort. Und während das Spiel so weiterging, spürte ich, wie sie näher zu mir heranrückte, wie sie ihren warmen schweren Körper an mich lehnte, um die Figuren, die ich skizzierte, besser sehen zu können. Aber es interessierte sie nicht zu erfahren, wie diese Dinge in meiner Sprache hießen. Schließlich nahm sie mir den Bleistift aus der Hand und zeichnete selbst irgendetwas. Sie zeichnete einen Krakelfuß, der wohl ein Kreuz sein
sollte, ein koptisches Kreuz. Sie wollte mich wissen lassen, dass sie Christin sei.«Sehr gut», sagte ich,«wie sollte man es auch nicht sein in Kriegszeiten? »Aber sie verstand nicht, und es war nutzlos zu versuchen, ihr meine dummen Scherze verständlich zu machen. Hierauf war ich schon wieder müde.
    Seit dem Augenblick, als sie zurückgekommen war
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