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Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)

Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)

Titel: Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
Autoren: Markus Götting
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meine Bemühungen mit einem gewissen Amüsement verfolgt haben. Nun haben sie also ihr lang erwartetes Spektakel: ein streitendes, keifendes Ehepaar inmitten der Ruinen eines Campingvorzeltes, dazu ein bisschen Blut – für die Uhrzeit eine bemerkenswerte Bilanz.
    Ein älterer Herr, der beigefarbene Bermudas zu seinem Bierbauch trägt, zwängt sich an der Hecke vorbei auf unsere Parzelle. Er sagt: »Ach du Scheiße!« Was als Bewertung der Gesamtsituation durchaus eine präzise Zusammenfassung ist. Und dann mit einem Blick auf Lenas Stirn: »Mädchen, das musst du nähen lassen.«
    Lena ist nicht die Sorte Frau, die bei der kleinsten Krise losheult wie ein Kind an seinem ersten Tag in der Krippe. Jetzt aber laufen ihr einige Tränen übers Gesicht. Sie sagt kein Wort, als sie in den Wagen verschwindet, um ihre Verletzung im Spiegel zu betrachten.
    »Willi«, sagt der Bermuda-Mann, als er mir eine mächtige Pranke entgegenstreckt, die ihn schon mal nicht als professionellen Pianisten ausweist.
    »Piacere«, sage ich zerstreut und auf italienische Höflichkeitsfloskeln konditioniert. Willis Blick formt Fragezeichen.
    »Äh, ich meine – Markus.«
    Willi blickt auf das Stangen-Chaos. »Alles halb so schlimm«, sagt er, als von drinnen ein dumpfer Schlag ertönt. Ich ziehe die sandigen Schuhe aus und springe die drei Stufen hoch. Lena liegt auf dem Boden. Ohnmächtig geworden.
    »Willi!«
    Er kommt hinterher, zusammen heben wir Lena aufs Bett. Mein Herz rast. Auch das noch! So etwas Ähnliches hatte ich schon zwei-, dreimal bei ihr erlebt: dass ihr plötzlich erst schwindelig und dann schwarz vor Augen wurde und sie einfach zusammengesackt ist. Das hier erscheint ernster. Die lange Autofahrt, die Arbeit in der Mittagshitze, der Anblick von Blut. Das war wohl zu viel. Ich streichele ihr über die Wange, die Stirn blutet immer noch, und Lena schlägt langsam die Augen auf. »Trinken«, stöhnt sie schwach. Vielleicht ist sie ja tatsächlich nur ein bisschen dehydriert. Willi reicht mir die Wasserflasche von der Ablage, ich halte ihren Kopf leicht schräg und führe die Flasche an ihre Lippen. Lena nippt ein paar Schlucke. Nach einer Viertelstunde rappelt sie sich auf. Ich gebe ihr noch ein Stück Traubenzucker, vielleicht kommt sie dann ja wieder zu Kräften.
    Wir stützen sie von beiden Seiten auf dem Weg zu meinem Fiesta. »Willi, wir sehen uns später«, sage ich, bevor wir uns zum Arzt in Sepiana aufmachen – hinter uns ein Wohnwagen-Stellplatz, der ein wenig an einen verunglückten Selbstmordanschlag in Kandahar erinnert: kleinere Krater im Boden, eine zerfetzte Behausung, aber nur Leichtverletzte unter der Zivilbevölkerung.

Due
    Das Drama begann mit unserer Hochzeitsfeier. Mir war klar, dass ich in eine Familie von Camping-Enthusiasten einheiraten würde, eine Familie, die seit etwa drei Jahrzehnten jeden ihrer Urlaube in Sepiana verbrachte, gern auch mal zwei pro Jahr.
    Mein Schwiegervater hatte unseren großen Tag liebevoll gekapert. Als Biologe empfand er es als seine Pflicht, sich um den Blumenschmuck zu kümmern – er sollte dem alpinen Ambiente der Tiroler Berge entsprechen, wo wir unsere Lieblingshütte gemietet hatten. Und als Sohn einer Gastronomin sorgte er selbstverständlich persönlich für die üppige Getränkeauswahl. Wie auch dafür, dass der Pfarrer innerhalb kürzester Zeit so betrunken war, dass er sich nur noch an die Hälfte der zehn Gebote erinnern konnte. Halt machte Lenas Vater einzig vor der Küche, was allerdings auch daran lag, dass der in Festivitäten erfahrene Koch sie lange genug zur eigenen Sicherheit von innen verschlossen hatte.
    Wir waren kurz vor dem Dessert, als Peter mit einem Teelöffel gegen sein bedrohlich gefülltes Rotweinglas schlug. Er hatte das mal in einem Film gesehen, und ich glaube, die Geste hatte ihm imponiert. »Es waren die Osterferien 1978«, begann er scheinbar harmlos, »und ich als Vater von drei Kindern – Benjamin, unser Jüngster, war ja noch nicht mal geboren – konnte mir nicht mehr leisten als einen geliehenen Wohnwagen und einen VW-Bus, mit dem wir bis tief in den Süden Italiens fuhren.«
    Während ich mich noch fragte, ob er wohl auch meine Schwiegermutter noch erwähnen würde, stieß Toni, mein bester Freund und Trauzeuge, mich von rechts mit dem Ellbogen an. »Wenn der bei 1978 anfängt, dann sollten wir uns ein paar Kurze bestellen. Die Zeit verkürzen, hehe.«
    Nach fünf Minuten war Peter in seiner Rede gerade erst am Brenner angekommen.
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