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Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)

Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)

Titel: Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
Autoren: Louise Allen
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nach dieser Inventur aufgebrochen, um sich jeder Hutmacherin vorzustellen, die sie finden konnte.
      Die berühmte Madame Phanie hatte sie sofort abgelehnt, einige andere ebenfalls. In ihr entstand der Eindruck, dass verarmte junge Damen der Gesellschaft überall zu haben waren und Allüren an den Tag legten, von denen ihre bescheideneren Schwestern gnädigerweise frei waren. Als Talitha gerade endgültig aufgeben wollte, fand sie durch Zufall Madame d’Aunays exklusives Geschäft am Piccadilly Circus, keine vier Häuser von den Stoffhändlern Hardin & Howell entfernt.
      Die Dame des Hauses gewährte ihr dankenswerterweise ein Vorstellungsgespräch und zeigte sich sogar überaus zuvorkommend, nachdem sie Miss Grey bei der Arbeit gesehen hatte. Talitha durfte sich der hart arbeitenden Belegschaft im Hinterzimmer anschließen. Eines Tages, als eine Kundin ein Loblied anstimmte über eine besonders elegante Kostümhaube, die Talitha vollkommen selbstständig gearbeitet hatte, gab Madame sich einen Ruck. Sie ließ Talitha aus dem Arbeitsraum herausrufen, damit die Kundin die gewünschten kleineren Änderungen am Besatz unmittelbar mit ihr besprechen konnte.
      Schnell sprach sich herum, dass in Madame d’Aunays Etablissement eine junge Dame beschäftigt wurde, die eine absolute Zauberin war, wenn es um Hüte ging, und die besonderes Geschick bewies mit Kreationen, die Damen jenseits der Vierzig zu schmeicheln vermochten. In kürzester Zeit arbeitete Talitha für ihre eigenen Stammkundinnen. Madame nahm ein ansehnliches Honorar dafür, Miss Grey zum persönlichen Maßnehmen in Privathäuser zu entsenden; außerdem beteiligte Madame, ehemals Mary Wilkinson aus All Hallows, Talitha großzügig an den Einnahmen.
      Und doch kam sie damit nur so eben aus. Talitha seufzte, während sie die Stufen zur Vordertür von Mrs Penelope Blackstocks privatem Logierhaus für junge Damen in der Upper Wimpole Street emporstieg. Es sah ihr nicht ähnlich, so niedergeschlagen zu sein, doch ihr wurde langsam klar, dass sie niemals so viel verdienen würde, dass es für mehr als das Nötigste reichte. Selbst dies hing völlig davon ab, ob es ihr weiterhin möglich war, zu arbeiten. Hinzu kam, dass sie heute eine allzu deutliche Warnung erhalten hatte: Eine ihrer Einkommensquellen stellte durch ihre Unschicklichkeit eine große Gefahr für sie dar. Hätte Lord Parry sie erkannt, wäre selbst ihre angesehene Beschäftigung in Gefahr gewesen.
      „Tallie! Da bist du ja endlich.“ Emilia, Mrs Blackstocks achtzehnjährige Nichte, Millie genannt, war bei dem Geräusch des Schlüssels im Schloss aus dem Salon erschienen; ein Schal war wie ein Turban um ihren Kopf gewickelt. „Komm herein. Tantchen hat Tee gemacht, und wir rösten gerade ein paar Muffins.“
      Dankbar ließ Talitha Haube und Umhang auf einen Stuhl fallen, zog die Handschuhe aus und folgte ihr hinein. Sämtliche Bewohner des Hauses, außer Mrs Porter, der Köchin, und Annie, dem Mädchen für alles, hatten sich um den Kamin versammelt.
      Plötzlich verschwamm Talitha alles vor den Augen, und selbst den Sessel, den sie gerade ansteuerte, konnte sie nicht mehr klar sehen. Ihr Blick war so getrübt, dass sie die Tischkante greifen musste, um sich im Gleichgewicht zu halten.
      „Tallie, meine Liebe, was ist los? Bist du krank?“ Zenobia Scott, der andere Logiergast, sprang auf die Beine und geleitete Talitha zu ihrem Platz. „Du bist ja eiskalt! Bitte, Mrs Blackstock, darf ich die Köchin fragen, ob sie ihr einen heißen Ziegelstein für ihre Füße bringt?“
      „Ich werde gehen.“ Millie war bereits auf dem Weg, und kurz darauf fand Talitha sich in eine warme Decke gehüllt und mit einem von den glühend heißen Ziegeln an den Füßen wieder, die von der Köchin stets hinten auf dem Ofen gelagert wurden.
      Fest umklammerte sie ihre Teetasse und lächelte ihre Freundinnen dankbar an. Wie schon so oft dankte sie ihrem Schöpfer dafür, dass sie diese heitere Enklave der Weiblichkeit gefunden hatte.
      „Bist du den ganzen Weg nach Hause zu Fuß gegangen, Talitha?“, erkundigte sich Mrs Blackstock. „Ich wünschte, du würdest das nicht immer tun; es ist recht frisch draußen und außerdem schon dunkel. Was hat dich denn so aufgeregt? Hat ein Mann dir ein zweideutiges Angebot gemacht?“
      „Nein, eigentlich nicht.“ Talitha überlegte. Sie konnte schwerlich so tun, als wäre nichts geschehen – außerdem hatte sie das dringende Bedürfnis, über ihr
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