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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen
Autoren: Aufbau
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Türklopfer.
    Zu behaupten, daß er nicht bestürzt gewesen wäre und daß er in seinem Blut keine furchtbare Erregung gespürt hätte, wie sie ihm seit seiner Kindheit fremd war, hätte nicht der Wahrheit entsprochen. Doch er nahm den Schlüssel, den er losgelassen hatte, zur Hand, drehte ihn entschlossen herum, ging hinein und zündete seine Kerze an.
    Er blieb einen Augenblick unschlüssig stehen, ehe er die Tür schloß, und blickte zuerst vorsichtig dahinter, als ob er fast erwartete, durch den Anblick von Marleys Zopf erschreckt zu werden, der in den Hausflur hineinragte. Aber an der Rückseite der Tür war weiter nichts als die Schrauben und Muttern, die den Klopfer hielten. Deshalb sagte er „Ach was!“ und schlug die Tür krachend zu.
    Der Schall hallte durch das Haus wie Donner. Jedes Zimmer oben und jedes Faß unten im Keller des Weinhändlers schien sein eignes Echo zu haben. Scrooge war nicht der Mensch, der sich durch Echos erschrecken ließ. Er verschloß die Tür, durchquerte den Hausflur und stieg die Treppe hinauf, allerdings langsam, denn im Gehen putzte er die Kerze.
    Es läßt sich kaum sagen, daß man mit einem Sechsspänner eine gute alte Treppe hinauffahren oder ein schlechtes neues Gesetz durchbringen könne; ich behaupte aber, daß man in diesem Treppenhaus sogar einen Leichenwagen hochbekommen hätte, und zwar quer, mit der Deichsel zur Wand und der Tür zum Geländer hin, und das mit Leichtigkeit. Die Breite dafür war vorhanden, überhaupt genügend Platz. Das ist vielleicht der Grund, warum Scrooge glaubte, vor sich in der Dunkelheit eine sich bewegende Bahre zu sehen. Ein halbes Dutzend Gaslampen auf der Straße hätten den Flur nicht ausreichend erleuchtet, und so kann man sich vorstellen, daß es mit Scrooges Kerze recht finster war.
    Scrooge stieg hinauf und scherte sich den Teufel darum. Dunkelheit ist billig, und das liebte Scrooge. Bevor er aber seine schwere Tür schloß, ging er durch alle Zimmer, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. Die Erinnerung an das Gesicht war noch stark genug, um dies für angebracht zu halten.
    Wohnzimmer, Schlafzimmer, Rumpelkammer. Alles, wie es sein sollte. Keiner unter dem Tisch, keiner unter dem Sofa, ein kleines Feuer im Kamin, Löffel und Schüssel standen bereit, das kleine Töpfchen mit der Haferschleimsuppe (Scrooge hatte eine Erkältung) auf dem Kamineinsatz. Niemand unter dem Bett, niemand im Schrank, niemand in seinem Schlafrock, der in verdächtiger Weise an der Wand hing. Die Rumpelkammer wie üblich: ein altes Kamingitter, alte Schuhe, zwei Fischkörbe, der Waschständer mit drei Beinen und ein Schürhaken.
    Ganz beruhigt machte er die Tür zu und schloß sich ein; er schloß sogar zweimal herum, was sonst nicht seine Gewohnheit war. Somit gegen Überraschungen gefeit, legte er die Krawatte ab, zog Schlafrock und Pantoffeln an und setzte die Nachtmütze auf. Dann nahm er vor dem Kamin Platz und aß seine Haferschleimsuppe.
    Es war wirklich ein kleines Feuerchen, lächerlich für einen so bitterkalten Abend. Er mußte dicht dabeisitzen und sich herüberbeugen, um von solch einer Handvoll Kohle wenigstens ein geringes Gefühl der Wärme zu spüren. Der Kamin war alt, vor langer Zeit von einem holländischen Kaufmann gebaut und rundherum mit altmodischen holländischen Kacheln besetzt, die die Bibel veranschaulichen sollten. Da waren Kain und Abel, die Töchter Pharaos, die Königin von Saba, Engelsboten, die auf Wolken wie auf Federbetten durch die Luft herabschwebten, Abraham, Belsazar und Apostel, die in Saucieren in See stachen; Hunderte von Figuren, die Scrooges Gedanken auf sich lenken konnten, und trotzdem tauchte das Gesicht von Marley, der schon seit sieben Jahren tot war, wie der Stab des Propheten vor ihm auf und verschlang alle anderen. Wenn jede glatte Kachel zunächst unbemalt gewesen wäre und die Kraft gehabt hätte, irgendein Bild aus den zusammenhanglosen Bruchstücken seiner Gedanken zu gestalten, wäre auf jeder ein Abbild von Marleys Gesicht erschienen.
    „Unsinn!“ sagte Scrooge und schritt durchs Zimmer.
    Nach mehrmaligem Auf und Ab setzte er sich wieder hin. Als er den Kopf auf dem Stuhl nach hinten warf, blieb sein Blick zufällig an einer nicht mehr benutzten Glocke hängen, die im Zimmer hing und zu einem längst vergessenen Zweck mit einem Zimmer im obersten Stockwerk des Gebäudes in Verbindung stand. Zu seiner großen Verwunderung und mit einer seltsamen, unerklärlichen Furcht sah er, als er dorthin
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