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'Alle meine Kinder'

'Alle meine Kinder'

Titel: 'Alle meine Kinder'
Autoren: Melissa Fay Greene
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Höhe, während ehrfürchtig ein Tabot, eine Nachbildung der Bundeslade, zur Schau gestellt wird? Weil Äthiopien das biblische Abessinien ist, das Reich der Königin von Saba, die nach Jerusalem reiste (gemäß der Heiligen Schrift und Legende), als die Bundeslade noch jung war.
    Das alte Äthiopien, das wie eine Festung über dem Horn von Afrika wacht, unweit der Stelle, wo das Rote Meer, das Arabische Meer und der Indische Ozean zusammenfließen, hat über Jahrtausende fremde Eroberer abgewehrt und mit dem alten Ägypten, Persien, Arabien, dem Römischen Reich und Indien Handel mit Sklaven, Gold, Elfenbein, Gewürzen, Edelsteinen, Stoffen und Tieren getrieben. Fünftausend Jahre alten ägyptischen Hieroglyphen ist zu entnehmen, dass die Pharaonen Myrrhe aus Äthiopien zu schätzen wussten. Jahrhundertelang beherrschte Aksum, das Reich der Amhara im äthiopischen Hochland, das Rote Meer und errichtete Burgen und riesige Stein-Monolithen, betrieb Gold-, Silber- und Kupferprägeanstalten. In persischen Schriften aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. wurde Aksum neben Rom, China und Persien zu den vier großen Kaiserreichen der Welt gezählt.
    Heilige Schriften sowohl aus Israel als auch aus Äthiopien beschreiben den Besuch von Makeda beim König von Israel. Im ersten Buch der Könige, Kapitel 10, heißt es: »Und da das Gerücht von Salomo... kam vor die Königin von Reicharabien, kam sie, Salomo zu versuchen mit Rätselfragen... Und sie kam gen Jerusalem mit sehr vielem Volk, mit Kamelen, die Spezerei trugen und viel Golds und Edelsteine.« 3 »Diese Königin des Südens war sehr schön von Angesicht und von herrlicher Gestalt«, steht in der alten äthiopischen Heiligen Schrift Kebra Nagast ( Der Ruhm der Könige ). 4 »Ihr Geist und ihre Klugheit, die Gott ihr verliehen hatte, waren von so hoher Art, dass sie nach Jerusalem ging, um die Weisheiten des Salomon zu hören.« 5 Makeda, bei uns als Königin von Saba bekannt, vermählte sich mit Salomon und die beiden hatten einen Sohn: Menelik, Reichsgründer von Äthiopien (während des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts behaupteten daher die äthiopischen Kaiser, davidischer Abstammung zu sein).
    In den Schirmen, die sich über den vielen Menschen auf den staubigen Straßen wie Kaleidoskope drehen, blitzen geheimnisvolle alte Legenden auf.
    Tradition und Moderne durchdringen einander, so wie sie es überall tun. Ein Schäfer treibt sein mageres Schaf am Rand der gepflegten, sanft gewellten Rasenfläche des palastartigen Sheraton Addis Hotel entlang. Ein handgeschriebenes Schild in einem Laden gibt bekannt, dass man hier Motorräder und Kamele mieten kann. Auf der Straße nach Zoia wird eine Lastwagenkolonne von einer stolz dahinschreitenden Prozession von Kamelen aus Afar aufgehalten. Ihre Besitzer, Nomaden mit langen lockigen Haaren, die unter farbigen Turbanen stecken, laufen schreiend und Stöcke durch die Luft schwingend neben den Tieren her, ohne den Lastwagen vor ihnen Beachtung zu schenken. Auf einer dürren Ebene, Hunderte von Kilometern von jeder Elektrizität entfernt, steht ein junger Ziegenhirte mit einem Holzstecken in der Hand auf einem Feld und trägt ein T-Shirt, auf dem das Logo eines amerikanischen Baseballvereins, den Red Sox, prangt. Und eines Tages erblickte ich einen Schäfer und sein Schaf, die per Anhalter auf einem Tankwagen mitfahren. Sie saßen rittlings, mit flatterndem Haar und windgepeitschtem Fell auf dem silbernen Geschoss und klammerten sich verzweifelt fest.
    Selamneh steuerte waghalsig durch den mörderischen Verkehr, so dass wir auf dem Rücksitz hin und her geworfen wurden. Kinder liefen zwischen den Autos herum, klopften an die Scheiben und boten Taschentücher, einzelne Eier und lebende Hühner, die sie an den Füßen in die Höhe hielten, zum Verkauf an. In Äthiopien gehen nahezu zwei Drittel der Kinder im Schulalter nicht zur Schule, womit das Land weltweit eines der letzten ist, und nur 41 Prozent der Erwachsenen können lesen. 6 Die Mädchen und Jungen, die die braunen oder hellblauen Schulpullover mit V-Ausschnitt tragen, werden, egal, wie abgerissen sie aussehen, glühend beneidet von den Kindern in noch schmutzigerer Kleidung, die keine Schule besuchen. Die Kinder in Schuluniform schwenken ihre Hefte, während sie lachend und schwatzend über die Bürgersteige paradieren, voller Hoffnung und Zuversicht, dass sie ihre Uniformen und Hefte nicht umsonst getragen haben werden.
    »Noch ein oder eineinhalb Jahre nach Abschluss
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