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Alarmstufe Blond

Alarmstufe Blond

Titel: Alarmstufe Blond
Autoren: Johanna Marthens
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aufstieß. Dahinter verbarg sich ein Wartezimmer ohne Patienten. Die Sprechstunde war längst vorüber.
    »Leonard! Doktor Diercksen! Ein Notfall!«, rief die Frau und setzte mich auf einen Stuhl, bevor sie zu einer Theke am Ende des Raumes sprang, auf dem sich eine Klingel befand. ›Wie im Hotel‹, dachte ich und wollte noch etwas ähnlich Unsinniges dranhängen, als sich eine Tür öffnete und … mir klappte die Kinnlade herunter. Ich muss gestehen, für einen erschreckend langen Moment dachte ich, jetzt sei es gänzlich aus und vorbei mit mir. Ich befürchtete, mein Sturz hätte größere Schäden in meinem Kopf verursacht und ich halluzinierte nun. Denn vor mir stand der Mann von dem Foto auf dem Dachboden. Nur ein bisschen älter – und noch attraktiver.
    Ich muss ihn angesehen haben wie eine Frau, die ihren toten Großvater aus dem Sarg auferstehen sieht, denn er kam sofort auf mich zugestürzt und führte mich in das Sprechzimmer, wo ich mich in einen bequemen Stuhl setzen musste, während er eifrig mit seltsamen Gerätschaften hantierte und dann eine Spritze aufzog.
    Er redete dabei auf mich ein, aber, ehrlich gesagt, kann ich mich kaum daran erinnern, und ich will auch nichts Falsches wiedergeben. Dabei nähte er die Wunde. Oder tackerte sie, ich bin mir nicht mehr so sicher. Jedenfalls hörte sie auf zu bluten. Er röntgte auch meinen Kopf und stellte glücklicherweise keinen Schädelbruch fest. Danach stellte er mir ein paar Fragen zu meiner Person, die ich nur mit viel Mühe und mit schleppender Sprache beantworten konnte, weil die Spritze inzwischen nicht nur den Schmerz in meiner Schläfe, sondern auch meinen halben Gesichtsnerv lahmgelegt hatte. Daher denke ich, dass er mich für eine Vollidiotin gehalten haben muss, oder für jemanden mit einem schweren Hirnschaden, was in meinem Fall ja näher lag. Aber er ließ es sich nicht anmerken.
    »Ich habe Sie schon gesehen«, murmelte ich und wurde dabei das Gefühl nicht los, die Betäubungsspritze habe nun auch meine Hemmschwelle für abgedroschene Anbaggersprüche runtergesetzt. Fehlte nur noch, dass ich ihn nach seiner Telefonnummer fragte.
    »Ich bin der Arzt hier im Dorf, man sieht mich häufig«, lächelte er und klebte ein Pflaster auf meine Schläfe.
    »Das meine ich nicht«, versuchte ich zu artikulieren, doch es kam nicht ganz so deutlich raus. »Ich renoviere das Haus meiner Freundin, dort war Ihr Foto auf dem Dachboden in einer Kiste.« Es klang wie eine Frage nach dem Wetter in irgendeinem, längst ausgestorbenen Eskimo-Dialekt. Ich verstand mich, ehrlich gesagt, selbst nicht.
    Er antwortete auch nicht darauf. Vielleicht sollte ich mit meiner Eröffnungsrede für einen Flirt lieber warten, bis ich wieder Herrin über meine fünf Sinne und Gesichtsnerven war. Immerhin erhaschte ich einen Blick auf seine Hand und spürte wider Willen ein zartes Herzklopfen, als ich dort den obligatorischen Ehering vermisste. Doch das besagte gar nichts. Vermutlich trug er ihn nicht bei der Arbeit, um ihn bei dem häufigen desinfizierenden Händewaschen nicht zu verlieren. Ich befand mich zwar nicht in der Chirurgie, aber Ärzte mussten doch immer sterile Hände haben, oder etwa nicht?
    Nachdem er mich noch mehrere Male durchgecheckt hatte und diagnostizierte, dass ich außer der Platzwunde am Kopf keine Schäden davongetragen hatte, durfte ich wieder gehen. Allerdings mit der Auflage, mich sofort hinzulegen und zu ruhen und in zwei Tagen wieder bei ihm vorbeizuschauen.
    Ich nickte kurz, dann verabschiedete ich mich von ihm und ging.
    »Und? Was sagt er?«, fragte meine Retterin mit dem Traktor, als ich zu ihr ins Wartezimmer zurückkam.
    Ich zuckte leicht mit den Schultern. »Ich habe eine Platzwunde«, nuschelte ich und zeigte mit der Hand auf meine Schläfe, für den Fall, dass sie mich nicht verstand, was sehr wahrscheinlich war.
    Sie nickte wissend. »Doktor Diercksen ist ein guter Arzt. Sie werden sehen, bald sind Sie wieder auf den Beinen und es bleibt nicht einmal eine Narbe.«
    Ich wollte die gute Frau noch fragen, was denn Frau Diercksen so mache, aber da hatte sie schon den Motor ihres Treckers angeworfen und meine unverständlichen Worte wurden von seinem Tuckern verschluckt.
    Wortlos ließ ich mich in das Haus zurückfahren, wo ich mich bei meiner Nachbarin für ihre Hilfe bedankte, was sie mit einem besorgten Kopfschütteln hinnahm. »Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie Bescheid«, sagte sie. »Bei uns können Sie auch telefonieren.«
    »Danke«,
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