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Akte Mosel

Akte Mosel

Titel: Akte Mosel
Autoren: Mischa Martini
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erwartet.
    Sekunden nachdem die Vorzimmerdame ihn angemeldet hat, reißt Walter S. Stiermann seine Bürotür auf. Dunkles Hemd, grauer Anzug, die Jacke zugeknöpft, der Knoten der hellen Krawatte fest angezogen, kommt er mit Schwung heraus, reißt die Brille mit der linken Hand von der Nase und macht mit der rechten eine einladende Geste. Wie immer schlägt er Walde auf die Schulter: »Kommen Sie herein, Herr Bock, schön, daß Sie noch Zeit für unser Meeting haben.«
    Was soll der Spruch? Er ist der Chef, denkt Walde. Im Zimmer fröstelt es ihn augenblicklich, es scheint ihm noch kälter als im Bergwerksstollen. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren. Stiermann steuert auf eine Sitzecke zu, hinter der eine halb eingerollte Stars and Stripes und eine deutsche Flagge an der Wand lehnen. Darüber hängt ein Foto, das Stiermann zusammen mit dem ehemaligen Chef der New Yorker Polizei zeigt. Der Spitzname ›Seekuh‹ hängt mit seiner meistgebrauchten Verabschiedungsfloskel ›See you‹ zusammen. Oder ist es die präsidiumsinterne Deutung des abgekürzten zweiten Vornamens? Das S. ist nirgends offiziell registriert, das kann hier jeder an seinem Computer nachlesen.
    Walde sinkt in einen Sessel. Das kalte Leder erzeugt an seinem verschwitzten Rücken eine Gänsehaut. Er muß sich zusammenreißen, daß er sich nicht vor Kälte schüttelt.
    »Was darf ich Ihnen anbieten, Kaffee, Wasser oder einen Whisky?«
    Walde könnte eigentlich einen heißen Grog oder einen Glühwein gebrauchen, bittet aber um Kaffee und bemüht sich, nicht mit den Zähnen zu klappern.
    »Die News bitte!« Der Präsident setzt sich und putzt seine Brille mit der Krawatte. Walde beobachtet es mit Grausen. Seine Eltern betrieben in der Simeonstrasse ein Optikergeschäft. Walde weiß durch jahrelange Mithilfe im Laden, daß Stiermanns Gestell nicht unter tausend Mark zu haben ist und die Gläser durch die Krawatte verkratzt werden. Sein Vater hatte den Laden von seinem Vater geerbt. Er konnte Beamte nicht ausstehen, obwohl er nicht schlecht an ihnen verdiente. Die Beamten saßen seiner Meinung nach nur ihre Stunden ab. Überstunden, wie sie bei einem selbstständigen Optiker massenhaft anfielen, kannten sie nicht. Obendrein konnten sie es sich leisten, während der Dienstzeit private Besorgungen zu machen, zum Beispiel eine neue Brille zu kaufen. Das hörte sich so gut an, daß Walde schon früh beschloß, in den Staatsdienst zu gehen. Wäre er Finanzbeamter geworden, hätte es seinen Vater umgebracht, die hatte er ganz besonders gehaßt.
    Walde umschließt die warme Kaffeetasse: »Ein Mofafahrer, wahrscheinlich identisch mit dem Täter von Föhren, hat ein siebenjähriges Kind angesprochen und ist, als andere Kinder auftauchten, abgehauen. Das da«, Walde deutet zum Pflaster an seinem Kopf, »ist bei der Verfolgung passiert.«
    »Was sagt der Doc?«
    »Er hat rasiert und geklammert, ist nichts weiter.«
    »Na ja, es bleiben ja noch genug Locken übrig. Sie haben ziemlich viel traffic ausgelöst mit ihrem Großalarm!«
    »Großalarm ist etwas übertrieben. Wir haben Sommerferien, und im Streifendienst sieht es nicht besser aus als in meiner Abteilung oder bei Kollegin Wagner.«
    Stiermann stöhnt: »Manpower fehlt, irgendwann müssen die Leute ja Urlaub machen. Wenn ich an die ganzen Überstunden denke, die kann ich ja nicht einfach canceln. Wir haben im Moment einen Boom bei den Hauseinbrüchen.«
    »Wie immer in den Sommerferien«, Walde knöpft den Kragen seines Hemdes zu und versucht, die Ärmel über seine Ellenbogen zu ziehen.
    »Was ich damit sagen will ist, könnten Sie diese, ich nenne sie mal größeren Einsätze bitte auf ein Minimum reduzieren? Sie wissen ja, wir machen zur Zeit die Aktion PRÄSENZ VOR ORT. Ein Bergwerk ist da die falsche Location.« Stiermann nippt an seinem Glas, sein Schnauzbart stößt einen Eiswürfel an, der auf und ab wippend zum Rand dümpelt. »Das gibt ein gutes Feedback von den Bürgern, wenn unsere Leute mehr in den Wohngebieten auftauchen.«
    »Ich habe bei der Sache mit dem Mofafahrer kein gutes Gefühl«, Walde verkneift sich, Feeling zu sagen, »Herr Präsident. Wenn ein Einbrecher erst nach dem fünften Delikt gefaßt wird, ist das etwas anderes als hier, wo es Schlimmes zu verhindern gilt.«
    »Ich höre, Sie arbeiten mit Frau Wagner im Team, das gefällt mir. Nur denken Sie an die Verhältnismäßigkeit. Ihr Engagement in Ehren, aber legen Sie hier nicht die Maßstäbe an, die für Kapitalverbrechen gelten?
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