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Agrippina - Kaiserin von Rom

Agrippina - Kaiserin von Rom

Titel: Agrippina - Kaiserin von Rom
Autoren: Rolf D. Sabel
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sein Centurio natürlich nicht mitgeteilt: »Soldaten haben zu gehorchen« – das war das Einzige, was er zu hören bekam. Da tröstete es wenig, dass es den übrigen Kameraden seiner Kohorte ebenso ergangen war.
    Ein dumpfes Geräusch in seinem Rücken lässt ihn herumfahren, aber sein Blick vermag die eisige Dunkelheit und die dahinjagenden Nebelschwaden kaum zu durchdringen. Aber es gibt wohl keinenGrund zur Beunruhigung – hier, auf der Stadtmauer der vor gut drei Jahren neu gegründeten Provinzstadt Colonia Claudia Ara Agrippinensium muss man sich nur vor den äußeren Feinden in Acht nehmen. Gratus dreht sich wieder um, seine Hand umfasst sein Schwert, das schwer an seinem Gürtel hängt und ein Gefühl von Schutz und Sicherheit gewährt.
    In der kurzen Zeit, in der er jetzt hier Dienst tut, ist ihm diese neue Veteranenstadt durchaus schon sympathisch geworden. Für ihn, der in den warmen Regionen Oberitaliens geboren wurde, dieses Gebiet aber schon mit sechzehn Jahren verließ, um seinen Militärdienst anzutreten, hat der Begriff Heimat längst seine Bedeutung verloren. Ubi bene, ibi patria – Wo es mir gut geht, da ist mein Vaterland. Ein wahrer Spruch! Er kann sich durchaus vorstellen, als Veteran den Rest seines Lebens hier zu verbringen.
    Seine Gedanken wandern zu Thalia, der jungen Ubierin, die er vor einigen Wochen kennen gelernt hat. Mit ihren langen rotblonden Zöpfen, ihrem silberhellen Lachen und ihren spitzbübischen Grübchen hat sie ihn in kurzer Zeit verzaubert. Thalia! Noch zwei Stunden bis zum Ende der dritten Nachtwache, dann bin ich bei dir!
    Wieder ein Geräusch. Schritte? Er blickt zurück, versucht angestrengt die Finsternis zu durchdringen.
    »Ist da jemand?«, ruft er, doch der tobende Sturm verschluckt seine Worte.
    »Valerian?« Für die Ablösung ist es eigentlich zu früh, aber manchmal ...
    Keine Antwort! Nur der Wind heult und bläst ihm einen Schwall gefrorener Schneeflocken ins Gesicht. Für einen Augenblick reißt der Nebel auf und gibt den Blick frei auf die mächtigen Zinnen des Nordtores, doch Sekunden später verschlingt er wieder Tor und Mauern.
    Nachdenklich lehnt sich Gratus an die Mauer, ein Frostschauer lässt seinen Körper erzittern, die erstarrten Finger klammern sich fester um den Schwertgriff. Sein Blick fällt auf den mächtigen Strom des Rhenus, der sich in dunklen Fluten dahinwälzt und die kleine vorgelagerte Rheininsel mit kalten, schäumenden Wogen umspült.
    Wieder wandern seine Gedanken in die ferne Provinz Judäa. Die letzten drei Jahre war er in Jerusalem stationiert und hatte dorteiner Kreuzigung beigewohnt, die ihn sehr verwirrte. »Vater, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun«, rief der Verurteilte kurz vor seinem Tode. Ein seltsamer Mensch. Gewissensbisse bekam Gratus erst später, als er sich mit Anhängern des Gekreuzigten unterhielt und so einiges von dem erfuhr, was dieser ungewöhnliche Mensch gelehrt hatte. »Liebe deine Feinde!« – in den Ohren eines römischen Legionärs klang das verrückt. Sollte er etwa die Sugambrer lieben, die ihm Tag und Nacht nach dem Leben trachteten, oder die mörderischen Eburonen, mit denen Cäsar – den Göttern sei Dank! – aufgeräumt hatte?
    Chrestos – der Gesalbte, so nannten ihn seine Anhänger. Das meiste von seinen Lehren hatte Gratus nicht verstanden. Seine Kameraden bezeichneten das Ganze als orientalischen Aberglauben und lachten über die scheinbar wirren Ideen des Hingerichteten. Doch hier, in der neuen Provinzstadt, kannte man diesen Mann offensichtlich nicht.
    Wirklich nicht? In den langen dunklen Nächten wird auch in den Kasernen manches über die neue Lehre geflüstert und gewispert, heimlich nur, denn der Centurio ist ein eifriger Anhänger des Mithras-Kultes und duldet solche lästerlichen Reden nicht.
    Wer weiß. Vielleicht ist das alles nur Unsinn, und doch ...
    Gratus ergreift die Lanze, die neben ihm an der Mauer lehnt. Ein paar Schritte zu gehen tut gut bei der Kälte. Plötzlich heult der Sturm mit ungeahnter Kraft auf, reißt an dem Signum , das über der Mauer weht und droht es zu zerfetzen. Abgelenkt, bemerkt er nicht die leisen Schritte hinter sich – bis dem unachtsamen Legionär plötzlich ein eiskalter, blitzender Stahl durch den Rücken dringt.
    Mit einem Gurgeln sinkt Gratus Vitellius zu Boden. Er lässt die Lanze fallen – und erblickt bei seinen letzten Atemzügen einen Vermummten, der sich über ihn beugt. Die vermummte Gestalt greift sich mit der Linken
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