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Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect

Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect

Titel: Adrenalin - Robotham, M: Adrenalin - The Suspect
Autoren: Michael Robotham
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Great Cosby etwa acht Meilen nördlich von Liverpool gibt es einen Rastplatz, den man von der Straße nicht einsehen kann. Wenn man ihn nach zehn Uhr abends ansteuert, sieht man dort manchmal ein anderes Fahrzeug parken. Man betätigt den rechten oder linken Blinker – je nachdem, was man will – und wartet, bis der Wagen vor einem mit dem gleichen Blinker antwortet. Dann folgt man ihm.«
    Seine Sätze kommen abgerissen. »Ich war sechs, als sie mich zum ersten Mal zu diesem Rastplatz mitgenommen hat. Beim ersten Mal habe ich nur zugesehen. Es war irgendwo in einer Scheune. Sie lag auf dem Tisch wie ein Selbstbedienungsbuffet. Nackt. Dutzende von Händen waren auf ihrem Körper. Jeder konnte tun, was er wollte. Sie hatte genug für alle. Schmerzen. Lust. Für sie war es dasselbe. Und jedes Mal wenn sie die Augen
aufschlug, sah sie mich direkt an. ›Sei nicht egoistisch, Bobby‹, sagte sie. ›Lerne zu teilen.‹«
    Er starrt stur geradeaus, wiegt den Oberkörper leicht vor und zurück und stellt sich die Szene vor. »Privat- und Swinger-Clubs waren zu bürgerlich für meine Mutter. Sie hatte ihre Orgien lieber anonym und ohne Raffinesse. Irgendwann habe ich aufgehört mitzuzählen, wie viele Menschen ihren Körper geteilt haben. Männer und Frauen. So habe ich gelernt zu teilen. Erst haben sie von mir genommen, aber später habe ich von ihnen genommen. Schmerzen und Lust – die Erbschaft meiner Mutter.«
    Tränen stehen in seinen Augen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Meine Zunge ist rau und angeschwollen. Meine Sicht ist eingeschränkt, weil mein Gehirn nicht genug Sauerstoff bekommt.
    Ich möchte etwas sagen. Ich möchte ihm sagen, dass er nicht allein ist. Dass viele Menschen über den gleichen Träumen brüten, in die gleiche Leere schreien, an den gleichen offenen Fenstern vorbeikommen und sich fragen, ob sie springen sollen. Ich weiß, dass er verloren ist. Er ist beschädigt. Aber er hat immer noch Alternativen. Nicht jedes missbrauchte Kind wird so.
    »Lass mich runter, Bobby. Ich kann nicht richtig atmen.«
    Ich sehe den Nacken seines quadratischen Halses und das schlecht geschnittene Haar. Er dreht sich in Zeitlupe um, ohne mir ins Gesicht zu blicken. Die Klinge saust über meinen Kopf hinweg, und ich stürze, noch immer das Ende des Schals gepackt, nach vorn. Meine Beinmuskeln zucken. Ich schmecke Betonstaub und Blut. An der Wand lehnen weitere Bretter, an einer anderen Industriebecken. In welche Richtung liegt der Kanal? Ich muss hier raus.
    Ich rappele mich auf die Knie und krabbele los. Bobby ist verschwunden. Metallsplitter graben sich in meine Hände. Zerbrochene Betonteile und verrostete Tonnen bilden einen wahren Hinderniskurs. Vom Eingang aus sehe ich am Kanal einen
Feuerwehrwagen und das flackernde Blaulicht eines Polizeiautos. Ich versuche zu schreien, aber kein Laut dringt aus meiner Kehle.
    Irgendetwas stimmt nicht. Ich komme nicht mehr voran. Ich drehe mich um und sehe Bobby auf meinem Mantel stehen.
    »Ihre beschissene Arroganz haut mich wirklich um«, sagt er, packt meinen Kragen und zieht mich auf die Füße. »Glauben Sie, dass ich auf Ihre Haferflocken-Psychologie hereinfalle? Ich habe mehr Therapeuten, Psychologen und Psychiater gesehen, als Sie in Ihrem Leben beschissene Geburtstagsgeschenke bekommen haben. Ich war bei Freudianern, Jungianern, Adlerianern, Rogerianern – was Sie wollen – und ich würde keinem den Dampf meiner Pisse an einem kalten Tag gönnen.« Wieder hält er sein Gesicht ganz nah an meins. »Sie kennen mich nicht . Sie glauben, Sie wären in meinem Kopf. Scheiße! Sie liegen nicht mal knapp daneben!« Er setzt die Klinge unter meinem Ohr an. Wir atmen dieselbe Luft.
    Eine kurze Drehung des Handgelenks, und meine Kehle wird sich öffnen wie eine fallen gelassene Melone. Und genau das wird er tun. Ich spüre das Metall an meinem Hals. Er wird es jetzt beenden.
    In diesem Moment stelle ich mir vor, wie Julianne mich mit schlafzerzaustem Haar von ihrem Kopfkissen aus ansieht. Und ich sehe Charlie in ihrem Schlafanzug, die nach Shampoo und Zahnpasta riecht. Ich frage mich, ob es möglich ist, die Sommersprossen auf ihrer Nase zu zählen. Wäre es nicht schrecklich zu sterben, ohne es versucht zu haben?
    Bobbys Atem in meinem Nacken ist warm – die Klinge ist kalt. Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Er zögert einen Moment – ich weiß nicht, warum.
    »Ich nehme an, wir haben uns beide gegenseitig unterschätzt«, sage ich und taste mit der Hand
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