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Absolution - Roman

Absolution - Roman

Titel: Absolution - Roman
Autoren: Deutsche Verlags-Anstalt
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ein nur für dich entzifferbarer Code, für den nur du den Schlüssel hattest, der nun verloren ist. Wer war schwarz? Wer grün? Warst du selbst rot, die prominenteste Farbe, ein Feuer, das über das Feld der weißen Seiten raste?
    Zum Schluss verschwinden selbst Gesprächsfetzen. An ihrer Stelle stehen nur Daten und Zeiten, in dieser oder jener Farbe geschrieben. Die Farben scheinen nun Orte statt Menschen zu repräsentieren. Erst im letzten Notizbuch kehrst du zu flüssiger Prosa zurück, erzählst die Geschichte deiner letzten Tage, im Bewusstsein, dessen bin ich jetzt gewiss, dass du nicht mit einem nur vagen Erahnen deines Schicksals unterwegs warst. Du wusstest, dass du die Grenze überschrittest – nicht in die Freiheit, sondern in den Tod.

1999
    Als die Feiertage näher kamen, wusste Sam, dass Sarah gern bei ihren Eltern sein wollte. »Du musst nicht bleiben«, sagte er. »Du solltest jetzt heimfliegen. Ich komme nach, sobald ich kann.«
    Er versprach ihr, sie im Januar wiederzusehen, und alles würde wieder wie früher sein. Er fragte Sarah, ob er ein paar Pakete mit Ellens Sachen an ihre Wohnung schicken könne – Fotos und Andenken, die Bücher von Clare Wald, die ihn als Jungen mit einer Karte zu seinem Selbst versorgt hatten, alle Sachen, die er behalten wollte. Ellens Haus war schon auf dem Markt, die Möbel würden verkauft oder gespendet, das Leben, das er gekannt hatte, wieder einmal aufgelöst.
    »Du brauchst nicht zu fragen«, sagte Sarah, »schick alles, was du behalten willst.«
    Er wusste, was das bedeutete, dass nämlich alles, was er auf der Welt besaß, bei Sarah sein würde, in einem Land, das nicht das seine war.
    Die Polizei versicherte Sam weiterhin, dass sie Spuren verfolgten und ihn benachrichtigen würden, wenn sich etwas Neues ergab. Sie versprachen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun. Sie wiesen darauf hin, dass es für ihn keinen Grund gab, seine Rückkehr nach New York aufzuschieben, da er bei dem Verbrechen nicht dabei gewesen sei und daher keine Aussage machen könne, die ihnen bei den Ermittlungen weiterhalf.
    Am Weihnachtsmorgen wachte er allein im Haus seiner Tante auf. Es gab keinen Fernseher und kein Radio, die er einschalten konnte. Das Essen im Gefrierschrank hatte er der Kirche gestiftet, die versprochen hatte, es einer bedürftigen Familie zukommen zu lassen. Ein Mitglied des Frauenbunds hatte ihm einen Plastikbeutel voll Gebäck gebracht, wovon er die Hälfte zum Frühstück aß. Dabei lauschte er dem Schweigen und dem Geläut der Glocken in der ganzen Stadt und dem Schreien der Adler, das die Luft zerriss.
    Zum Mittagessen machte er sich einen Salat und brachte den restlichen Tag damit zu, die Wandschränke und Schachteln und Dokumente zu durchstöbern und die Dinge, die er entsorgen wollte, in Ellens Schlafzimmer zu bringen und alles, was er behalten wollte, in sein eigenes. Es hatte noch keiner das Haus besichtigt, doch er dachte, er sollte schon mal anfangen, es aufzuräumen.
    Am späten Nachmittag klopfte es, und als er nachschauen ging, die schwere Haustür mühsam aufzog und durch die Stäbe des gusseisernen Tors schaute, die das Haus vor Einbrechern schützen sollten, stand ein Fremder zehn Zentimeter vor ihm.
    »Was wollen Sie?«, blaffte Sam. Der Mann trat zurück und sah aus, als hätte man ihm einen Schlag vor die Brust versetzt, und Sam bedauerte sofort seinen Ton. Der Mann würde bloß Essen oder Geld wollen und hätte eine lange Geschichte zu erzählen, von seiner Familie und seinem Hunger und der ach so teuren Jahreszeit.
    »Sind Sie Mister Leroux?«, fragte der Mann. Er hatte einen dünnen Schnurrbart und zitterte, als er sprach. Sam stellte fest, dass er nur ein Teenager im Körper eines Mannes war.
    »Wollen Sie etwas von Mrs Leroux? Wenn ja, muss ich Ihnen leider mitteilen, dass sie tot ist.«
    »Sind Sie nicht Miss Leroux’ Sohn?«
    »Ich bin ihr Neffe. Worum geht es?« Sag, was immer du willst, dachte Sam, sag einfach, was du brauchst, damit ich Nein sagen und dich aus meinem Leben fortschicken kann.
    »Entschuldigen Sie vielmals, dass ich Sie störe, Sir«, sagte der junge Mann, griff in seine Gesäßtasche und holte einen Umschlag heraus, dessen Ecken umgeknickt waren. Er gab ihn Sam, der ihn entgegennahm, als wäre es etwas Lebendiges. »Ich war ein Schüler von Miss Leroux. Ich war noch auf der Universität, als die Beerdigung stattfand, und wollte sagen, dass es mir so leidgetan hat, dass sie gestorben ist. Ich wollte ihrer Familie mein
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