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Abgründe

Abgründe

Titel: Abgründe
Autoren: Arnaldur Indriðason
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sich ein Football-Spiel im Fernsehen angeschaut hatte. Einen Augenblick hatte er überlegt, ob er vor dem Schlafengehen noch etwas lesen sollte. Er hatte letztes Jahr zu Weihnachten einen isländischen Roman geschenkt bekommen, der immer noch eingeschweißt war. Er holte ihn aus einer Schublade und riss die Folie auf. Er begann zu lesen, legte dann aber das Buch wieder in die Schublade und ging ins Bett.
    Durch den Stress in der letzten Zeit hatte er seit einigen Tagen einen sehr leichten Schlaf. Er war in aller Herrgottsfrühe aufgewacht und hatte beschlossen, eine Runde im Auto zu drehen. Ehe er sich versah, befand er sich wieder vor diesem Haus, obwohl er seiner Mutter versichert hatte, dass er nicht daran dächte, noch einmal einen Briefkasten zu bewachen. Gagga hatte ihn angerufen, weil sie mehr über die Festnahme der Bankmanager wissen wollte, als in den Nachrichten berichtet worden war. Natürlich hatte sie ihn auch über Súsanna und Patrekur ausquetschen wollen, die sie beide kannte. Es war ihr aber nicht gelungen, viel aus Sigurður Óli herauszubekommen. »Ich rede später mit dir«, hatte er nur gesagt.
    Ihm fiel das Gespräch mit Elínborg ein. Sie hatte ihn besorgt angerufen und nach Erlendur gefragt, der immer noch in seiner alten Heimat war und schon mehr als zwei Wochen nichts von sich hatte hören lassen.
    »Was macht er da eigentlich in den Ostfjorden?«, fragte Elínborg.
    »Keine Ahnung«, sagte Sigurður Óli. »Mir sagt er nie etwas.«
    »Weißt du, wie lange er bleiben wollte?«
    »Nein, ich weiß nur, dass er seine Ruhe haben wollte.«
    »Ja genau«, hatte Elínborg gesagt.
    Sigurður Óli gähnte. Genau wie bei den beiden letzten Malen war kaum jemand in dem Haus unterwegs, und die paar Gestalten, die entweder heimkehrende Nachtschwärmer oder Frühaufsteher auf dem Weg zur Bäckerei waren, schenkten dem Blatt keinerlei Beachtung. Sigurður Óli wurde immer schläfriger, seine Augenlider schlossen sich langsam, sein Atem ging langsamer, und im nächsten Moment war er eingeschlafen.
    Während er schlief, schlich sich ein ungepflegter Mann um die fünfzig in abgewetztem Bademantel und mit wirr abstehendem Haar die Treppe hinunter, öffnete die Tür zum Eingang, spähte auf die Straße, schnappte sich die Zeitung aus dem Briefkasten und huschte wieder nach oben.
    Sigurður Óli hatte mindestens eine Dreiviertelstunde geschlafen und brauchte geraume Zeit, um wieder richtig wach zu werden. Die Rockmusik aus dem Radio klang vertraut. Er rieb sich die Augen, sah sich auf dem Parkplatz um, reckte sich und gähnte noch einmal. Im gleichen Moment sah er Andrés, der den Bürgersteig entlang in westliche Richtung davonstolperte.
    »Was?«, entfuhr es Sigurður Óli.
    Andrés! War das wirklich Andrés?
    Sigurður Óli richtete sich auf, um ihn besser sehen zu können.
    Kein Zweifel, es war Andrés.
    Sigurður Óli wollte aus dem Auto springen und ihm nachlaufen, er hatte die Tür bereits geöffnet, besann sich dann aber eines Besseren. Er schlug die Wagentür wieder zu, ließ den Motor an, fuhr vom Parkplatz auf die Straße und nahm die Verfolgung auf. An der nächsten Kreuzung musste er einen U-Turn machen und befürchtete schon, Andrés aus den Augen zu verlieren, aber bald hatte er ihn wieder im Blick. Andrés schlurfte vornübergebeugt die Sæbraut entlang und über die Kringlumýrarbraut, wo er zum Borgartún einbog. Er trug dieselben schäbigen Sachen wie zuvor, hielt eine Plastiktüte in der Hand und schien völlig aus der Welt zu sein. Sigurður Óli überlegte, ob er ihn anhalten und mit ihm reden sollte, aber seine Neugierde behielt die Oberhand.
    Wo hielt sich Andrés auf, wenn er nicht zu Hause war?
    Andrés ging auf dem direkten Weg über Nóatún zum Laugavegur hinauf, von dort aus am Hlemmur vorbei und ein Stück auf der Snorrabraut entlang. Dann bog er in die Grettisgata ein und ging in Richtung Stadtmitte. Um diese Tageszeit hatte Sigurður Óli keine Probleme, ihm im Schritttempo zu folgen und sich in sicherer Entfernung zu halten. Auf der Grettisgata hielt er Ausschau nach einem freien Parkplatz, wo er den Wagen abstellte und Andrés zu Fuß auf den Fersen blieb. Aus einiger Entfernung sah er, wie Andrés die Kellertreppe zu einem einstöckigen Holzhaus hinunterstieg, das irgendwann einmal bessere Zeiten gesehen hatte. Er öffnete die Haustür mit einem Schlüssel und schloss sie sorgfältig hinter sich.
    Sigurður Óli blieb stehen und betrachtete das Haus. Es stand im Grunde
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