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abgemurkst: Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben (German Edition)

abgemurkst: Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben (German Edition)

Titel: abgemurkst: Maggie Abendroth und das gefährliche Fischen im Trüben (German Edition)
Autoren: Minck
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Fußgängerzone singen müssen.
    Ich klebte eine Briefmarke auf das Kuvert und schaute mich im Garten der Kurklinik um. Obwohl es regnete, war der Raucher-Gulag um diese Zeit außergewöhnlich schwach frequentiert. Alle Kurgäste waren einem strengen Zeitplan unterworfen, der sie bis halb vier auf Trab hielt. Um spätestens eine Minute nach halb vier würde es in diesem Holzunterstand zugehen wie auf einem vietnamesischen Flüchtlingsschiff. Also noch genug Zeit, um einen Brief an meine Freundin Wilma zu schreiben. Da würden jetzt alle Dinge drinstehen, die ich Matti nicht geschrieben hatte, um ihn nicht zu beunruhigen. Er fühlte sich seit der Sache im Bestattungsinstitut mehr als verantwortlich für mich und fragte seinen Anwalt jedes Mal über mein Befinden aus. Ich hatte Herzig eingebläut, ihm nur gute Nachrichten zu übermitteln, egal aus welchen Fingern er sich das saugen musste. Anstatt sich über mich und mein Seelenheil Gedanken zu machen, sollte Matti sich lieber darum kümmern, seinen Prozess so gut wie möglich über die Bühne zu bringen.

    Honey Hair Salon
    Wilma Korff
    Viktoriastr. 16c
    44789 Bochum

    Niederbachklinik, Bad Camberg, 26. April 2002
    Wilma, hol mich hier raus! Du kannst Dir nicht vorstellen, wen ich hier getroffen habe! Die dicke rosa Rita! Erinnerst Du Dich? »Madame Irrsinnig«? Ehemals 98 Kilo schwer. Ich hätte niemals auf Winnie und sein Gesülze hören sollen. Hier, meine Liebe, lauert das wahre Trauma.
    Nach ewig langen zweieinhalb Wochen, gefühlten zwei Jahren, möchte ich mal sagen, sterbe ich vor Langeweile. Ich kann nichts daran finden, mein Frühstück mit 300 Leuten im selben Raum einzunehmen. 300 Leute, die alle wild durcheinander reden, rennen und stinken nach allem, was die Körperpflegeindustrie im Niedrigpreissegment auf den Markt wirft: Da prügelt sich das 99-Cent-Deo »Magnolie« mit dem Duschbad »Caribbean Nights« für 49 Cent. Leidtragender dieser olfaktorischen Scharmützel ist der Aufschnitt auf meinem Teller. Keine Scheiblette und keine Diätsalami, egal wie teuer, kommt gegen das Apfelshampoo meiner Tischnachbarin an. Ich liebäugele mit einem Umzug in das Allergiker-Reservat, aber da wollen sie uns Allesbenutzer nicht – wegen der Allergien eben.
    Um exakt 7.45 Uhr wird wenigstens das Geschnatter durch die Durchsagen der Kur-Animateure kurzfristig unterbrochen. Es werden so spannende Aktivitäten wie etwa Spaziergänge (lang, mittel oder kurz), Boule-Turniere oder Vogelstimmenführungen durch den Kurpark angeboten. Seit dem ersten Tag überlege ich, wie ich dem Frühstücksterror entgehen könnte – aber Oma Blaschke liebt es, an Tisch 37 Hof zu halten, und sie liebt es noch mehr, wenn ich alle fünf Minuten zum Buffet renne, um ihr das Gewünschte zu bringen. Nicht, dass es so schlimm um sie stünde: Die Gehbehinderte gibt sie nur im Frühstücksraum. Ansonsten flitzt sie wie ein Wiesel durch die Kurklinik. Runter oder rauf – bloß nicht den Aufzug nehmen. Als gute Adjutantin dackel ich ihr hinterher. Einer muss ja schließlich die Gehhilfe tragen.
    Ihr Bandscheibenvorfall ist noch keine sechs Wochen her, aber ihr Trainings- und Fitnessprogramm würde Madonna röchelnd zu Boden schicken. Aber seien wir mal froh, dass sie sich so gut erholt – ihr Kiosk muss schließlich bald wieder das Kläppchen öffnen, sonst gibt es eine Rebellion in Bochum Ehrenfeld. Winnie hat mich letzte Woche angerufen und erzählt, dass Omas Stammkunden, Herrmanns und Borowski, jeden Tag mehrere Schweigeminuten vor dem Kiosk einlegen. Es ist immerhin seit vierzig Jahren das erste Mal, dass der Kiosk so lange geschlossen hat. Würde mich nicht wundern, wenn das ganze Viertel auf Entzug ist.
    »Nein, danke, ich möchte immer noch keinen Tee.«
    »Vanille-Karamell.«
    Jetzt bloß nichts antworten. Einfach weiteratmen und hoffen, dass Vanille-Karamell sich wieder verzieht. Ich beugte mich noch tiefer über meinen Schreibblock und kritzelte weiter:
    In den engen Gassen von Bad Camberg packt mich ständig der Trieb, mich irgendwohin wegzuducken, weil putzig windschiefes Fachwerk auf mich herabstarrt – in die Dachbalken eingebrannt so vertrauenerweckende Jahreszahlen wie etwa 1508 oder 1613. Ich fühle mich wie eine Figur in einer Modelleisenbahn-Landschaft und frage mich ständig, wann der kleine Kevin um die Ecke kommt und mit seinen Patschefingerchen die Häuschen umkippt.
    Es gibt vier Modegeschäfte. Du wärst begeistert, Wilma: Drei davon zeigen den Dernier Cri vom Frühjahr
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