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617 Grad Celsius

Titel: 617 Grad Celsius
Autoren: Horst Eckert
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hat dich
    >>doch immer vergöttert und weiß von nichts.
    >>PPS: Seit meiner Rückkehr geht es mir viel besser.
    >>Dank dir, Vater. Endlich sind wir wieder zusammen.
    >>Möchtegern-Popstar und Herumtreiber, schwer erziehba-
    >>rer Heimzögling und Sannyasi-Knirps Swami Anand –
    >>das alles ist Vergangenheit, die uns nicht mehr kümmert.
    Es dauerte Minuten, bis Anna ihre Gedanken sortiert hatte und sich vom Anblick des Computerbildschirms lösen konnte.
    Sie suchte den Keller auf. Der Bunker – ein Betonwürfel, den ihre Eltern einst im Garten versenkt hatten. Jo hatte nicht lockergelassen, bis ihr Mann endlich der Anschaffung eines Schutzkellers zugestimmt hatte. Angeblich konnte eine dreiköpfige Familie darin die ersten zehn Tage nach einem Atomschlag überleben. Unter den Nachbarn im Nobelviertel war der Bunkerbau daraufhin zur Mode geworden.
    Anna überlegte, wo der Zugang war. Zwanzig Jahre lang hatte sie nicht mehr an den Bombenkeller gedacht. Hinter einem alten Schrank wurde sie fündig. Sie stemmte das ächzende Möbelstück zur Seite.
    Eine Stahltür im Gemäuer. Ein Rad löste die Verriegelung. Als Anna daran zog, flammte jenseits der Tür ein Licht auf. Mit hässlichem Schnarren sprang die Belüftung an – vermutlich war sie nie gewartet worden.
    Der Raum maß schätzungsweise zehn Quadratmeter. Der Boden war zerschrammt und staubbedeckt, drei muffige Pritschen lehnten an der Wand. Es schauderte Anna bei dem Gedanken, in diesem Kabuff eingeschlossen zu sein.
    Sie erinnerte sich einmal mehr an den Abend nach dem Konzert von Silverhammer , als sie für ein paar Minuten im Kühlraum der Kneipe festgesessen hatte. Sicherheitshalber schob Anna einen alten Farbeimer vor die Tür, damit sie nicht zufiel.
    Statt einer Notration an Lebensmitteln standen Kartons und Aktenordner in den Regalen. Ganz unten ragte eine nachlässig dazwischengestopfte Mappe heraus. Staubflocken wirbelten, als Anna sie hervorzog. Zwischen den Pappdeckeln lagen Briefe und vergilbte Zeichnungen. Ungelenke Kritzeleien.
    Eine Kinderzeichnung wird ihre sentimentale Wirkung sicher nicht verfehlen.
    Sven hatte das Wort Tochter in Anführungszeichen gesetzt. Er hatte es die ganze Zeit gewusst.
    Verärgert riss sie die alten Blätter mittendurch.
    Sie inspizierte einige Aktenordner und stieß auf Protokolle, Gesetzestexte und Korrespondenzen – in Bürokratensätze geronnene Parlamentsarbeit.
    Das Archiv.
    Dann fand Anna Kontoauszüge ausländischer Banken, Belege mit Nummerncodes, Durchschläge von Überweisungen aus fast drei Jahrzehnten. Abrechnungen und Dankesschreiben, die nicht von gemeinnützigen Einrichtungen stammten, sondern von Firmen, denen Bernd Winkler ganz eigennützig, gegen hohe Geldbeträge und vermutlich zum Schaden der Allgemeinheit, einen Gefallen erwiesen hatte.
    Anna ahnte, dass irgendwo zwischen Liechtenstein und der Karibik ein Vermögen lagerte, auf das Winkler Zugriff besaß. Zugleich wusste sie, dass sie sich niemals um dieses Geld bemühen würde.
    Sie hatte genug gesehen. Der Staub kratzte in ihren Atemwegen. Sie hatte die Nase voll von der Enge und dem sägenden Lärm der Lüftung.
    Ein Klappern ertönte im Farbeimer, als sie ihn zurück neben das Regal schob. Offenbar enthielt er etwas anderes als Reste von Wandfarbe. Anna zog den Deckel ab und erschrak.
    Getrocknetes Blut auf weißem Kunststoff.
    Mit spitzen Fingern holte Anna einen Plastikoverall hervor, wie die Polizei ihn bei der Tatortarbeit benutzte, um nicht selbst Spuren zu hinterlassen.
    Ein zweiter Schutzanzug. Kopfhauben und benutzte Latexhandschuhe. Überzieher für die Schuhe. Die komplette Gespensterverkleidung in doppelter Ausführung. Und alles mit dunkelbraunen Flecken übersät, die Anna an den getrockneten Schmand erinnerten, mit dem die Haut des toten Daniel bedeckt gewesen war. Ganz unten lag ein Messer. Daneben eine Tüte. Anna lugte hinein.
    Scherben und der Stiel eines Sektglases sowie ein breiter, blutverkrusteter Pinsel.
    Völlig außer Atem rief Anna die Intensivstation des Evangelischen Krankenhauses an. Während sie wartete, grübelte sie, was Bernd Winkler veranlasst haben mochte, einem Mörder beim Beseitigen der Spuren in Daniels Fabriketage beizustehen.
    Dank dir, Vater – Anna konnte es nicht fassen.
    Sie hatte sich längst noch nicht beruhigt, als sie endlich den Arzt an die Strippe bekam.
    »Wie sieht es aus?«, fragte sie.
    »Ich weiß nicht, am Telefon …«
    »Reden Sie!«
    »Das abgestorbene Gewebe hat sich weiter
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