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3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)

3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)

Titel: 3,6 Millionen Schritte Himmel & Hölle - Pilgerreise auf dem Jakobsweg (German Edition)
Autoren: Alexander Kamps
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lässt sie sich danach schnurrend auf meinem Schoß nieder und ich darf sie noch streicheln. Eigentlich müsste es umgekehrt sein, ich habe ja schließlich mit ihr geteilt. Noch einmal werde ich von einem kleinen Hund angekläfft, der alleine schon wegen seines Überbisses so süß ist, dass ich auch ihn am liebsten mitnehmen möchte. Noch einmal macht sich an beiden Füßen jeweils eine kleine Blase bemerkbar, als wollten mir meine Füße signalisieren, dass dann heute aber auch endgültig Schluss ist und sie auch genug haben.
     
    Ich werde immer nervöser und ein letztes Mal wird meine Geduld auf die Probe gestellt, denn immer wenn ich mir schon ganz sicher bin, dass hinter dem nächsten Hügel endlich, endlich, endlich das Meer, der Atlantik und das Kap Finisterre zu sehen sein müsste, kommt noch ein Hügel und noch einer und noch einer…!
     
    Irgend jemand muss wohl dasselbe Gefühl gehabt haben, weil er Wellen in den Staub gemalt hat und etwas weiter einen Sonnenuntergang, als wollte er ausdrücken, dass es jetzt wirklich nicht mehr lange dauern kann. Und dann ist es auch endlich soweit. Etwa 20 Kilometer vor meinem Ziel der letzte ganz große, vielleicht schönste Moment meiner gesamten Pilgerreise:
     
    Z um ersten Mal erblicke ich in der Ferne den Atlantik und das Kap Finisterre! Ich bleibe wie angewurzelt stehen, bin endgültig überwältigt von meinen Gefühlen und lasse meinen Tränen freien Lauf. Bestimmt eine Viertelstunde lang heule ich mir fast die Augen aus dem Kopf und bin erst mal völlig unfähig weiterzulaufen. Vielleicht ist es gut, dass ich alleine bin, alleine bin ich losgelaufen und alleine komme ich an. Vielleicht ist es aber auch schade, diesen ergreifenden und vielleicht schönsten Moment meines Lebens mit niemandem teilen zu können.
     
    Jetzt bin ich auch w ieder froh, mein Handy mitgenommen zu haben, denn so kann ich wenigstens per sms meine Familie und engsten Freunde in der Heimat unmittelbar an meinem großen Moment teilhaben lassen. Als ich mich wieder gefasst habe und diesen Moment, der zwar genauso schön, aber um einiges aufwühlender war als die Ankunft in Santiago, einigermaßen verdaut habe, führt der Weg hinunter nach Cee, der ersten Stadt auf dem Jakobsweg, die am Meer liegt, an dem ich mich natürlich nicht sattsehen kann.
     
    Sofort nutze ich dann auch die erste Gelegenheit, ziehe Schuhe und Socken aus und gebe meinen Füßen, die es am meisten verdient haben, schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf das angenehme Meerwasser. Die letzten 14 Kilometer schließlich wollen irgendwie kein Ende nehmen und erscheinen mir endlos. Irgendwann dann endlich der erste Kilometerstein, der weniger als zehn Kilometer anzeigt, und endlich komme ich gegen 20:00 Uhr in Fisterra an. Die letzten zwei Kilometer vor der Stadt verlasse ich das parallel zum Meer verlaufende letzte Stück des Jakobsweges und laufe runter zum Strand.
     
    Ich befreie meine Füße, die mich diesen langen und harten Weg bis hierher getragen haben, ein für allemal aus meinen Wanderschuhen, die also doch ohne neue Sohlen gehalten haben, und verspreche ihnen, wenigstens für die nächsten zwei bis vier Wochen nicht mehr in Socken oder feste Schuhe gesteckt und eingeengt zu werden. So lege ich also die letzten zwei Kilometer bis in die Stadt barfuß am Strand und im Wasser zurück. Schade, dass nicht der ganze Jakobsweg so war. Oder doch gut!?
     
    Als ich in der Herberge ank omme, sagt man mir, bevor ich überhaupt zu Wort komme, dass kein Platz mehr frei sei, womit ich auch nicht gerechnet hatte. Mir ist das heute so was von egal, ich will nur meinen letzten Stempel und meine Urkunde mit heutigem Datum. Übernachten wollte ich sowieso am Leuchtturm auf dem Kap Finisterre mit Blick auf das Meer. Also drückt man mir den Stempel in meinen Ausweis und die Urkunde in meine Hand.
     
    Ich versorge mich mit Verpflegung für den Abend und die Nacht und mache mich auf den Weg, um die letzten drei steilen Kilometer meiner Pilgerreise zu bewältigen. Die drei kommen mir dann vor wie sechs Kilometer, und ich komme zwar erst nach Sonnenuntergang an, aber den traditionellen Ankunfts-Sonnenuntergang kann ich morgen auch noch anschauen. Und dann ist die endgültige Endstation des Jakobsweges erreicht: Es ist schon dunkel, als ich plötzlich unter dem Leuchtturm vor dem Kilometerstein 0,00 stehe, und wieder ist es dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, das meinen Körper erfasst und in ein Gefühl der Fassungslosigkeit
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