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30 - Auf fremden Pfaden

30 - Auf fremden Pfaden

Titel: 30 - Auf fremden Pfaden
Autoren: Karl May
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treiben. Wer aber war der Schreiber dieser Zeilen gewesen? Wirklich ein Arzt? Sollte sich ein gebildeter Mann wirklich so weit vergessen können, einen abergläubischen Lappen in seinen Vorurteilen zu bestärken? Trotz meiner anfänglichen Belustigung ärgerte ich mich doch darüber; darum sagte ich:
    „Attje Pent, das ist kein Saiwa tjalem, sondern ein Kaiwes tjalok (eine dumme Schrift), und der, welcher es geschrieben hat, ist kein Doktor gewesen.“
    „Härra, es hat ja geholfen!“
    „Ich werde dir diese Schrift vorlesen, und dann magst du sehen, was du von ihr zu denken hast.“
    Ich übersetzte ihm, so gut es ging, die Worte in das Lappländische; aber er sprang bei den letzten Worten zornig auf und rief:
    „Willst du mich verhöhnen? Diese Worte stehen nicht hier!“
    „Sie stehen hier!“
    „Das ist nicht wahr, Härra!“
    „Willst du mich einen Lügner nennen?“
    Er besann sich.
    „Härra, du bist stets ernst und gut mit uns gewesen, jetzt aber scherzt du. Dieses Saiwa tjalem hat mich aus mancher Not errettet; die Worte aber, welche du mir jetzt sagtest, sind böse; sie beleidigen mich; sie können keinen Menschen erretten; sie können mir auch mein Silber nicht wiederbringen!“
    „Da hast du sehr richtig gesprochen. Ich habe dir ganz genau vorgelesen, was auf dem Papier steht; ich habe kein Wort weggelassen und auch keins dazugetan! Wirf das Papier fort; es nützt dir nichts!“
    „Sagtest du mir wirklich die Wahrheit?“ fragte er zweifelnd.
    „Ja.“
    „Härra, ich werde dieses Papier prüfen.“
    „Wie willst du dies anfangen?“
    „Ich werde es wieder einstecken. Wenn wir den Dieb fangen, so ist es gut, fangen wir ihn aber nicht, so taugt es nichts.“
    „Diese Probe ist nicht zuverlässig, denn du willst den Dieb ja durch mich fangen, nicht aber durch dieses Papier. Wenn du diese Probe wirklich machen willst, so mußt du allein gehen.“
    Er besann sich, und dann sagte er:
    „Du hast recht, und darum werden wir die Probe anders machen: Der Dieb wird das Geld bereits versteckt haben, wenn wir ihn finden, und er wird auch nichts eingestehen. Dann werde ich ihm diese Schrift geben. Beschützt sie ihn, so ist sie gut, finden wir aber das Geld, so ist das wahr, was du mir vorgelesen hast.“
    Das war nun allerdings eine echt lappländische Kalkulation, aber gerade weil die Sache so abenteuerlich klang, ging ich darauf ein.
    „Gut, du sollst deinen Willen haben. Zeige mir die Spur des Diebes!“
    Wir brachen auf und drangen tiefer in den lichten Wald ein. Nach vielleicht einer Viertelstunde erreichten wir eine von verkrüppeltem Ginster bestandene und jetzt überschneite Felsenhalde. Hier sah ich die Schneespuren zweier Männer.
    „Soll ich den Ort sagen, an welchem du das Silber versteckt hattest?“ fragte ich Pent.
    „Wirst du ihn finden?“ sagte er verwundert.
    „Sicher!“
    Ich untersuchte die beiden Fährten, glitt einer derselben nach und hielt vor einem schmalen Riß im Felsen.
    „Hier war es!“
    „Härra, du hast es wirklich erraten!“ rief er. „In diesem Riß hatte ich die Beutel versteckt und ihn dann mit Schnee angefüllt.“
    „Schau her! Hier hast du gekauert, als du das Geld betrachtetest, und hier hielt der Dieb, als er dir den Schlag versetzte.“
    „Woher siehst du dies?“
    „Das werde ich dir später erklären.“
    Während der Fremde einige Augenblicke lang hinter Pent gehalten hatte, waren seine langen Schneeschuhe tiefer in den Schnee eingedrungen und hatten also sehr deutliche Eindrücke hinterlassen. Da sah ich denn, daß der eine Schuh an seiner Sohle eine recht bemerkbare Narbe zeigte, die von einem kräftigen Stoß an einen spitzen Stein herzurühren schien. Doch hielt ich es für besser, Pent von diesem wertvollen Erkennungszeichen jetzt noch nichts zu sagen.
    „Wollen wir ihm folgen?“ fragte er.
    „Ja.“
    Wir glitten weiter, aus dem Wald heraus wieder auf die freie Anhöhe und dann jenseits des Höhenzuges hinab in ein breites Quertal, welches wir zu verfolgen hatten, bis wir wieder heraus auf die freie Ebene gelangten. Hier war die Spur dem Schnee so leicht aufgedrückt, daß der Verfolgte im raschesten Laufe dahin geschossen sein mußte. Wir machten es ebenso und glitten mit der Schnelligkeit eines Bahnzuges über die mattschimmernde Fläche fort.
    In dieser Weise und in dieser Richtung mußten wir in zwei Stunden den nächsten Nachbarn Pents erreichen, den ich bereits zweimal mit besucht hatte. Auch er war wohlhabend, doch bestand seine
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