27 - Im Lande des Mahdi I
und die dritte ging hinaus auf die Säulenhalle, welche den Hof umschloß. Die erste wollte ich nicht öffnen, weil der Neger draußen wartete; der Riegel befand sich bei mir auf der Zimmerseite. Bei der zweiten gab es bei mir keinen Riegel, sondern dieser war jedenfalls an der andern Seite der Tür angebracht; aber ich bemerkte drei nebeneinander gebohrte Löcher. Die dritte, nach der Säulenhalle führende Tür hatte den Riegel innen auf der Stubenseite; als ich sie öffnete und draußen untersuchte, sah ich ähnliche drei Löcher, und zwar genau an der Stelle, an welcher innen der Riegel befestigt war. Diese Riegel waren nicht von Eisen, sondern von Holz. Zu bemerken ist noch, daß alle rund um den Hof gehende Stuben durch Türen miteinander verbunden waren, so daß man aus einer in die andere gelangen konnte; jede hatte aber auch noch eine nach der Halle führende Tür. Es war klar, daß das Gespenst mit Hilfe eines dünnen spitzen Nagels oder Drahtes von außen jede Tür öffnen konnte; der Nagel brauchte nur in eines der Löcher gesteckt zu werden; dann griff er in den weichen Holzriegel und schob ihn zur Seite. Diese Entdeckung wollte ich Nassyr nicht mitteilen, sondern sie lieber für mich behalten.
Nach einiger Zeit kehrte er zurück, um mir zu sagen, daß ich der Dame außerordentlich willkommen sei; sie hege großes Verlangen, mich zu sehen; da es sich aber nicht schicke, daß sie mich besuche, und ein Mann auch nicht den Harem betreten dürfe, so müsse sie sich leider gedulden, bis die Reise Gelegenheit zur Begegnung gebe; aber da ich erst heute hier angekommen sei und mich im Hotel nur kurze Zeit aufgehalten habe, so sei ich jedenfalls hungrig und solle erlauben, daß man diesem Ungemach abhelfe.
Dem Dicken war es nicht beigekommen, daran zu denken, daß ich Hunger haben könne. Was das betrifft, so sind die Frauen der ganzen Welt, auch diejenigen des Orients, umsichtiger als die Männer. Nassyr schien noch etwas auf dem Herzen zu haben; ich sah es ihm an und forderte ihn auf, es mir mitzuteilen.
„Oh“, meinte er, „ich mag Sie nicht belästigen; es betrifft nur die eine Negerin.“
„Was ist es?“
„Sie hat wütende Zahnschmerzen, und sie sind Arzt, wie ich ganz sicher annehme.“
Wenn ein Deutscher im Orient reist, so hält man ihn entweder für einen Arzt oder für einen Gartenkünstler.
„Darf ich sie denn sehen?“ fragte ich.
„Eine schwarze Dienerin? Gewiß!“
„So schicken Sie nach ihr!“
Er klatschte in die Hände, worauf der Neger eintrat, welcher den Befehl erhielt, die Schwarze zu holen. Sie war noch sehr jung und hatte nicht die eingedrückte Nase und die wulstigen Lippen der eigentlichen Neger. Ihre rechte Wange war dick angeschwollen; sie öffnete den Mund und zeigte mir mit dem Finger nacheinander vier Zähne, von denen sie jeden für den schmerzenden hielt. Es war klar, daß ich es mit einem neuralgischen Zahnschmerz zu tun hatte, denn die Zähne waren alle kerngesund. Ich versprach ihr, sofort zu helfen, nahm eine geheimnisvolle Miene an, strich ihr, indem ich die Lippen bewegte, als ob ich leise Worte sagte, mit zwei Fingern einigemale über die Wange und schickte sie dann mit der Weisung fort, heute die Stube nicht zu verlassen.
Das war keine Scharlatanerie. Der Zahnschmerz war nur symptomatisch; mit der eigentlichen Krankheit hatte ich nicht zu tun, und ich kannte den Einfluß, welchen der bloße Glaube, das Vertrauen äußert. Die Berührung eines weißen Arztes war bei dieser Negerin jedenfalls von größerer Wirkung als Bergmannsche Zahnseife oder Odontine. Daß ich, oder vielmehr, daß das Vertrauen dieser Negerin sie von ihren Schmerzen befreite, rettete mir später das Leben. Bald darauf kam der alte Neger herein und brachte auf einer Platte ein kaltes Huhn, welches von großen, dicken Rinderbratenstücken umgeben war. Dazu gab es dünne Fladenschnitten, welche die Stelle des Brotes vertraten. Gabeln waren nicht dabei. Ich zog mein Messer, der Dicke das seinige auch. Als ich ein Stück Braten gegessen hatte, waren hinter den glänzenden Zähnen Nassyrs die andern acht Stücke verschwunden. Ich nahm mir ein Bein vom Huhn; aber mein Mund vergaß die Arbeit, als ich sah, mit welcher Virtuosität mein Gastfreund die knusperige Henne von ihrem Skelett befreite und sich das Fleisch in großen Stücken zwischen die Kinnladen schob. Dieser Türke schien gar nicht zu kauen. Er schlang und schluckte und schluckte und schlang, bis es nichts mehr zu schlingen gab.
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