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22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

22 - Im Reiche des silbernen Löwen III

Titel: 22 - Im Reiche des silbernen Löwen III
Autoren: Karl May
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nach Buschehr und Schiras gehen werde, und als ich dies oft genug bejaht hatte, fragte er mich, ob ich da wohl der Sill sei, der den Brief abholen solle, welcher an Ghulam abzugeben sei. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich vorgab, dieser Mann zu sein und die beiden Fremden, den Minister und den Sterndeuter, nur aus dem Grund in dieses Kaffeehaus geführt zu haben, um die Gelegenheit zu finden, den Brief in Empfang zu nehmen.“
    „Das war richtig, lieber Halef. Aber hast du denn nicht herausbringen können, wer und was dieser Ghulam ist?“
    „Nein. Ich sage dir, ich habe meinen ganzen Scharfsinn zusammengenommen; aber erstens war der Kawedschi so betrunken, daß er alles vergessen hatte und sich auf nichts besinnen konnte, und zweitens mußte er doch annehmen, daß ich diesen Ghulam wenigstens ebenso gut kenne wie er. Eine unvorsichtige Frage hätte mich verraten; sie wäre das Eingeständnis gewesen, daß ich der Sill nicht sei, für den ich gelten wollte. Du siehst ein, daß ich mich sehr in acht zu nehmen hatte und keine Erkundigung, die ihm auffallen mußte, aussprechen durfte. Ich setzte zwar die Worte so, daß sie ihn eigentlich hätten zwingen müssen, sich über Ghulam auszusprechen, aber der Raki hatte ihm nur den hundertsten Teil seines an und für sich schon armselig kleinen Verstandes übrig gelassen, und so redete er alles herüber und hinüber, herunter und hinauf, und brachte aber grad das nicht, was ich haben wollte.“
    „Das ist fatal!“
    „Vielleicht erfahren wir es unterwegs!“
    „Schwerlich. Die Mißlichkeit liegt in dem Umstand, daß Ghulam zwar ein Name ist, aber auch einen Stand bedeutet. Ghulam kann jeder Mensch heißen; dieses Wort kommt im Persischen ebenso oft vor wie der Name Halef im Arabischen. Ghulam ist aber auch ein Diener; besonders werden berittene Diener so genannt, und unter Ghulam Pätschä versteht man den Pagen, den jungen Leibdiener eines hohen Herrn. Du siehst also, daß wir uns in einer Ungewißheit befinden, die uns in Verlegenheit bringen kann.“
    „Vielleicht könnte uns der Inhalt des Briefes Aufschluß geben?“
    „Möglich!“
    „So öffne ihn doch!“
    „Ich gehöre nicht zu den Leuten, denen das Briefgeheimnis nicht heilig ist.“
    „Briefgeheimnis? Erlaube, Sihdi, daß jeder Brief geschrieben wird, um gelesen zu werden. Dieser ist an Ghulam gerichtet, der ihn lesen soll. Weil wir aber nicht wissen, wer, was und wo dieser Ghulam ist, wird er ihn nicht bekommen, außer wir öffnen das Schreiben, um zu erfahren, wo und an wen wir es abzugeben haben. Das Öffnen des Briefes ist also keine verbotene Handlung, sondern eine Notwendigkeit, und wenn wir ihr Gehorsam leisten, muß uns Ghulam dafür dankbar sein.“
    „Wie schön du das zu sagen weißt, lieber Halef! Du bist immer der Schlaue!“
    „Ja, der bin ich! Wenn die Länge deines Verstandes nicht ausreicht, so muß ich dir mit der Breite des meinigen zu Hilfe kommen. Das weißt du doch schon längst.“
    „Leider aber gilt hier diese ganze Breite mit allen ihren Finessen nichts. Wenn wir den Adressaten des Briefes nicht kennen, haben wir uns bei dem, der dir das Schreiben übergeben hat, nach ihm zu erkundigen, also beim Kawedschi. So ist die Sache.“
    „Das dürfen wir aber doch nicht!“
    „So müssen wir den Brief zurückgeben.“
    „Das fällt uns gar nicht ein! Sihdi, ich würde den Brief öffnen, ohne zu denken, daß ich dadurch einen Platz in der Hölle bekomme. Dein Gewissen aber ist nicht so kräftig wie das meinige, sondern im höchsten Grade tschapuk kydschyklanyr (kitzlich), was unter Umständen, wie der jetzige, tief zu beklagen ist. Gib mir den Brief wieder! Ich werde ihn aufmachen, und dann kannst du ihn lesen, ohne dir Vorwürfe darüber machen zu müssen.“
    „Ich halte das noch nicht für notwendig; wir haben ja Zeit zum Überlegen. Erzähle weiter!“
    „Der Kawedschi war bereit, mir den Brief anzuvertrauen, und da dies aber niemand sehen sollte, wollte er dies heimlich tun, denn auch der Somali durfte nichts davon wissen. Er bat mich darum, mit ihm hinauf unter das Dach zu steigen, wo er ihn versteckt hatte.“
    „Vielleicht befindet sich da oben überhaupt ein Versteck für Dinge, welche sich auf die geheime Verbrüderung der Sillan beziehen?“
    „Das ist möglich, Sihdi.“
    „Hast du nichts bemerkt?“
    „Nein.“
    „Der Kawedschi scheint als Postbeamter dieser Verbindung tätig zu sein; da ist es denkbar, daß man außer Briefen auch andere Dinge bei ihm
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