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213 - Aruulas Grab

213 - Aruulas Grab

Titel: 213 - Aruulas Grab
Autoren: Christian Schwarz
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Sherzade die Achtundsechzigste, hütete sich aber, es laut zu sagen.
    »Nichts wird sie retten können, selbst ihre Schönheit nicht«, fuhr Sherzade die Dreiundsechzigste fort und sprach mehr zu sich selber. Sie hob die Nase in den kühlenden Wind, der die Gerüche der Stadt und des Nils mit sich brachte. »Schönheit war noch niemals wichtig, wenn die neuen Geschichtenerzählerinnen von El Assud ausgesucht wurden. Da zählt nur eine Kunst. Die des Erzählens.«
    Wie lange es die Erzählerinnen von El Assud nun schon gab, wusste Sherzade die Dreiundsechzigste nicht so genau.
    Auf jeden Fall gehörten sie zum Harem des Gaufürsten von El Assud, der den Titel Padischah trug, und hatten nichts anderes zu tun, als ihm die alten Märchen und Geschichten zu erzählen, wenn ihm danach war. In dieser großen Kunst übten sie sich täglich, lehrten sie aber auch ihren Nachfolgerinnen.
    Die beiden Sherzades bildeten immer zehn Novizinnen gleichzeitig aus. Starb eine der beiden Geschichtenerzählerinnen oder konnte ihre Berufung nicht mehr ausüben, mussten die zehn Auszubildenden vor den Padischah treten und um ihr Leben reden. Denn er bestimmte eine von ihnen als Nachfolgerin. Die Siegerin erhielt den begehrten Titel Sherzade und eine fortlaufende Nummerierung.
    Vier weitere, die ebenfalls der Padischah bestimmte, durften ihre Ausbildung fortsetzen. Die fünf anderen aber, für die der Daumen nach unten ging, wurden noch am selben Tage dem Henker überantwortet und einen Kopf kürzer gemacht, damit die überlieferten Geschichten nicht verfälscht in die Außenwelt gelangen konnten. Danach ließ der Padischah die Familie der neuen Sherzade mit Reichtümern überschütten.
    Aus diesem Grund versuchten immer wieder einflussreiche Männer, ihre Töchter bei den Geschichtenerzählerinnen unterzubringen. Wahrscheinlich bestachen sie den Oinucken, denn der war dafür verantwortlich, neue Erzähltalente zu finden. Ein Talent war Dinarzade beileibe nicht. Man konnte sie nicht einmal mit einem verwechseln. Also hatten andere Dinge eine Rolle gespielt, dass sie hier gelandet war: viele, viele Pjaster…
    Sherzade die Dreiundsechzigste seufzte. Schon wegen Dinarzade werde ich noch eine ganze Weile am Leben bleiben müssen. Hoffentlich macht meine Gesundheit das noch mit…
    Angst vor den berüchtigten Haremsintrigen hatte Sherzade die Dreiundsechzigste schon lange nicht mehr. Sie war selbst eine passable Giftmischerin und hatte einst ihre Vorgängerin mit einem Schierlingstrank beseitigt. Das war auch für sie ein Spiel auf Leben und Tod gewesen, denn niemand wusste, wie sich der Gaufürst wirklich entschied. Aber sie hatte auf ihre Fähigkeiten vertraut und gewonnen. Seither hatte sie selbst sieben oder acht Anschläge überlebt, weil sie eine Nase für Gift hatte und eine gute Menschenkenntnis. Sie spürte sofort, vor wem sie sich hüten musste und vor wem nicht.
    »Ich habe doch gesagt, dass ich etwas trinken will!«, keifte Sherzade die Dreiundsechzigste plötzlich wieder los. Es war ihr Privileg, ungerecht zu sein, boshaft, bisweilen sogar tyrannisch. Das nutzte sie weidlich aus. Sonst blieb ihr nicht viel Freude, denn den Segnungen der Liebe hatte sie ein Leben lang widerstehen müssen. Das brachte die Berufung zur Geschichtenerzählerin von El Assud mit sich. Und einsam war sie auch. Denn selbst die Kadinas des normalen Harems durften keinerlei Umgang mit den Geschichtenerzählerinnen haben, obwohl sie Tür an Tür mit diesen wohnten. Nur dem Oinucken war es gestattet, die Tür zwischen beiden Bereichen zu durchschreiten. So sah Sherzade nur selten neue Gesichter.
    In diesem Moment trat Hassan auf die Terrasse. Der Oinuck bewegte sich mit kleinen trippelnden Schritten. »Sherzade Nummer dreiundsechzig, der Padischah wünscht dich zu sehen. Fühlst du dich in der Lage, ihn mit einer deiner wunderbaren Geschichten zu beglücken?«, sprach er die traditionelle Formel.
    Sherzade die Dreiundsechzigste hasste diese hohe, quiekende Stimme und würde das bis an ihr Lebensende tun.
    »Natürlich bin ich bereit für den Padischah«, erwiderte sie ebenso traditionell. »Geleite mich also zu ihm.«
    Als sie davon ging, warf sie Sherzade der Achtundsechzigsten einen triumphierenden Blick zu, der besagte: Siehst du, ich bin besser als du. Nur wenn ich unpässlich bin, wünscht der Padischah dich zu sehen…
    Durch die weiten Hallen und Wandelgänge gingen sie in die Gemächer des Padischahs. An der Tür davor verabschiedete sich Hassan mit
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