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2 ½ Punkte Hoffnung

2 ½ Punkte Hoffnung

Titel: 2 ½ Punkte Hoffnung
Autoren: Gretchen Olson
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Haus kommen; Juden müssen auf jüdische Schulen gehen ...
     
    Mr. Hudson klappte das Buch zu und blickte aus dem Fenster, als ob die roten und gelben Ahornblätter ihm mitteilen könnten, was er als Nächstes sagen sollte. Als er in die Klasse zurückkehrte, zu uns, tat er das mit dem bedrückten Gesicht von jemandem, der schlechte Nachrichten überbringen muss. Er hob das Buch, damit wir den Einband sehen konnten. Ein schwarzweißes Foto zeigte ein Mädchen mit dunklen tiefliegenden Augen (ob die wohl blau waren?) und einem hübschen Lächeln, das unsere Klasse ansah. Das Tagebuch der Anne Frank
.
    »Dies ist das berühmte Tagebuch eines Mädchens in eurem Alter, das zwei Jahre in einem Versteck gelebt hat und immer Angst haben musste, von den deutschen Nazis entdeckt zu werden, die zuerst Regeln und Verbote erließen, um dann Juden aus ihren Häusern zu holen und sie in Ghettos, Arbeitslager und Konzentrationslager zu stecken.«
    Mr. Hudsons Stimme war immer leiser geworden, und ›Konzentrationslager‹ hatte er fast geflüstert. »Zum Anfang unserer Einheit zur Geschichte Europas werden wir uns mit dem Holocaust befassen, einer sehr schlimmen Zeit in der Weltgeschichte, in der Menschen grauenhafte, unmenschliche Dinge getan haben. Nein, es gibt keine County-Kommission für Jugendsicherheit, aber vielleicht liegt draußen etwas weniger Offensichtliches auf der Lauer. Ich bitte euch sehr, auf Vorurteile in unserem Leben heute zu achten, siemit den Ereignissen während des Holocaust zu vergleichen und euch klarzumachen, wie unausgesprochene Ansichten zu einer lauten, gemeinsamen Stimme werden können.«
    Er sah uns einen Moment lang schweigend an, damit seine Worte ihre Wirkung taten. »Ihr könnt jetzt gehen und euch aus der Bibliothek eure Exemplare vom Tagebuch der Anne Frank holen. Bitte, seht euch die Fotos am Anfang genau an und lest bis Montag bis zum 29. September 1942.«
    Nachdem ich mir mein Exemplar ausgeliehen hatte, steuerte ich Noelle und Jessica an – aber meine Schritte wurden langsamer, als ich einen Blick auf den Umschlag warf, auf Anne Franks leuchtende, ahnungslose Augen.
Darf nicht. Muss. Nur. Verboten.
Mr. Hudsons Worte hallten in meinen Ohren wider.
Untersagt. In einem Versteck gelebt. Leiden.
Mein Herz hämmerte schneller, lauter. Sicher konnten alle das hören. Ich holte tief Atem. Das reichte nicht. Noch ein Atemzug und meine Beine und Arme wurden weich.
Ich habe es dir doch gesagt. Nie hörst du zu.
Das war jetzt eine andere Stimme.
Du bist eine erbärmliche Versagerin.
In meinem Kopf wirbelte vor Verwirrung alles durcheinander.
Hoffnungslos.
Eine Frauenstimme.
Hilflos. Ahnungslos.
Die Stimme meiner Mutter. Aber warum jetzt? In der Schulbücherei? Und warum wurde mir schlecht, wenn ich ihre Stimme hörte? Konnten Elfjährige Herzinfarkte haben? Wurde ich verrückt? Ich bewegte mich in Zeitlupe und betete um einen freien Platz.
    Rote Punkte tauchten vor mir auf. Auf ständiges Drängen hin schleppten meine Gummibeine sich noch drei, vier Schritte. Dann fiel ich in ein weiches federndes Nest, das meinen zitternden Körper verschlang. Da saß ich nun, mit geschlossenen Augen und brummendem Kopf, die Trommelwirbelin meinen Ohren wurden langsam leiser, und mein Körper seufzte. Jemand berührte meinen Arm. Ich öffnete ein Auge einen Spalt breit und erwartete, ausgerechnet meine Mutter da stehen zu sehen, die mit dem Finger auf mich zeigte und befahl:
Reiß dich zusammen oder mach, dass du wegkommst.
    Aber es war nur der halbe Oberkörper eines ramponierten Teddybären. Ich rutschte auf die Seite, zog ihn zwischen den anderen Kuscheltieren hervor und erlaubte meinen Armen, sich um seine fette Brust zu schlingen, während mein Kopf an seinem flauschigen dicken Hals verschwand.
    Ich hatte die Spielecke für die Kleinen erwischt, die leer und still war. Etwas bohrte sich in meine andere Seite. Was konnte das sein? Ich zog ein Bilderbuch mit blassen blauen Sternen und einem großen Vollmond heraus, mit tanzenden Flammen in einem schwarzen Kamin und einer Kuh, die über den Nachthimmel sprang.
Gute Nacht Mond,
sangen die leuchtendgelben Buchstaben. »Der am Himmel wohnt«
,
flüsterte ich dem Bären zu und drückte ihn fester an mich. Ich blätterte weiter und glitt über Wörter wie Katzen und Tatzen, Maus und Haus und starrte meine erste Erinnerung an den
Gute Nacht Mond
an: Annettes sechster Geburtstag und meine erste Übernachtungsparty. Ich fand es so aufregend, eingeladen zu werden, Spiele
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