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1WTC

1WTC

Titel: 1WTC
Autoren: Friedrich von Borries
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Zum Beispiel eine Fotoserie mit den Bildern der verschiedenen Kameras. Vielleicht wird daraus dann eine Art Karte. Oder ich betreibe Gegenüberwachung und filme Kameras. So wie Steve Mann, der die ersten tragbaren Computer-Videokamera-Systeme gebaut hat. Ich würde ihn gerne treffen, wenn ich in den USA bin. Auf einer abstrakteren Ebene geht es mir um den Widerspruch von Überwachung und Freiheit, von War on Terror und American Dream. Freiheitsstatue vs. Guantanamo Bay, sozusagen.«
    Die Zeit ist um, die Juroren haben nur noch ein paar Fragen zu seiner bisherigen Arbeit und seinen Zielen für die Zukunft. Dann schicken sie ihn raus. Vor der Tür wartet schon der nächste Bewerber.
    Eine Woche später erhält Mikael einen Brief von der Senatsverwaltung. Hellgrauer Umschlag, stilisiertes Brandenburger Tor, Berliner Stadtwappen, der neue Slogan »be Berlin«. Ansonsten Verwaltungsdeutsch.
    Die Jury hat ihn ausgewählt. Er erhält ein Künstlerstipendium für New York. Ein Jahr, 1500 Euro im Monat, außerdem ein kleines Atelier in der Jay Street in Brooklyn. Mitten im Szeneviertel Dumbo. Eine Wohnung muss er sich selbst suchen.
    Die Stewardess schiebt den Getränkewagen durch die Reihen des Delta-Airline-Flugs Nummer 079 von Berlin-Tegel nach New York John F. Kennedy. Mikael bestellt Whiskey. Er kann nicht einschlafen, schaut aus dem Fenster. Ein paar Tage vor der Abreise hat ihn der Professor aus der Jury zu einem Kaffee eingeladen.
    »Wir haben Sie nicht ausgewählt, weil Ihr Vorhaben so spannend ist, sondern weil Sie uns als Mensch überzeugt haben. Über Videoüberwachung haben schon viele gearbeitet, aber wir hatten hier den Eindruck, als ginge es Ihnen wirklich um etwas. Das sollten Sie sich bewahren. Finden Sie für sich heraus, was an dem Thema Sie wirklich interessiert. Dann machen Sie auch eine gute Arbeit.«
    Vor dem kleinen Fenster zu Mikaels Linken ziehen unendliche Wolkengebirge vorüber. Er nimmt einen kleinen Schluck Whiskey.
    »Wie politisch wollen Sie sein?«, hat ihn der Professor noch gefragt, bevor er ihm zum Abschied einen kurzen Text von Dan Graham in die Hand drückte.
    Graham, Dan (geboren 1942). US-amerikanischer Konzeptkünstler. Beschäftigt sich mit Video und Übertragungstechnik. In seinen Installationen kann man sich gegenseitig überwachen. »Time Delay Room 1«, 1974: In zwei gleichgroßen, nebeneinander liegenden Räumen befinden sich jeweils zwei Videomonitore und eine Kamera. Ein Monitor zeigt das Überwachungsbild aus dem benachbarten Raum, der andere Monitor das um acht Sekunden zeitverzögerte Überwachungsbild des Raums, in dem sich der Betrachter befindet. Für seine Arbeiten nutzt Graham nicht nur Videotechnik, sondern baut auch kleine Pavillons aus Spiegeln. Verspiegeltes Glas, Videokameras, Monitore, immer wieder experimentiert er mit der Verschiebung der Wahrnehmung. Schlagworte: Beobachtung, Verunsicherung.
    In seinem 1978 erschienen Buch Video-Architecture-Television erklärt Graham: »An architectural code both reflects and directs the social order. In the not too distant future one can envisage that this code will be supplemented, modified and in part supplanted by a new code.«
    Die nicht zu ferne Zukunft ist inzwischen Gegenwart geworden. In welchen architektonischen Codes konstruieren wir heute unsere soziale Ordnung?
    Calle, Sophie (geboren 1953). Französische Künstlerin. In ihren an soziologische Studien angelehnten Arbeiten geht es weniger um die Exploration neuer Technologien und auch nicht um politische Subversion, sondern eher um die subtile Erforschung des Verhältnisses zwischen dem Eigenen und dem Fremden, um Intimität und deren Zerstörung. In den achtziger Jahren beginnt sie, zufällig ausgewählte Fremde durch Paris zu verfolgen, um die Stadt besser kennenzulernen. Sie fotografiert, macht Notizen, dokumentiert. Calle beobachtet andere, sie beobachtet sich selbst, lässt sich von anderen beobachten. Für »The Shadow« beauftragt sie 1981 ihre Mutter, einen Detektiv auf sie anzusetzen, während eine dritte Person wiederum den Detektiv dabei beobachtet, wie er Sophie Calle verfolgt. 2001 wiederholt sie das Experiment mit »20 Years Later«.
    Als Sophie Calle 1983 auf der Straße ein Adressbuch findet, beginnt sie, über den ihr unbekannten Besitzer zu recherchieren. Sie trifft seine Freunde und Bekannten, interviewt über vierhundert Personen, deren Kontaktdaten sie in dem Adressbuch findet. Sie erstellt ein Profil des Unbekannten und veröffentlicht die
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