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1WTC

1WTC

Titel: 1WTC
Autoren: Friedrich von Borries
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Künstlerin Spiele, in denen es um Krieg, Gewalt und interkulturelle Konflikte geht. Seit 2008 hat sie einen Lehrauftrag am Game Center der New York University. Dort baut sie einen neuen Forschungszweig auf.
    Schließlich könnte die Geschichte aber genauso gut in Berlin beginnen. Als Tom in New York einen Job sucht, seine Freundin Jennifer mitten in ihrer Promotion steckt und Syana sich in der New Yorker Szene als Medienkünstlerin etabliert, bewirbt Mikael sich um ein Stipendium des Berliner Senats für einen Aufenthalt in New York. Er kennt weder Tom noch Jennifer, nur Syana ist ihm schon einmal begegnet.
    Ich will nicht zu viel über Mikaels Vorleben erzählen, schließlich habe ich versprochen, nicht zu verraten, wer er früher war. Nach dem Kunststudium taucht Mikael in die Berliner Clubszene ein. Er legt in Technoclubs auf, mischt als VJ Bilder zur Musik: Aufnahmen von Überwachungskameras, Musikvideos und alte Super-8-Filme, die er auf Flohmärkten zusammensucht, sind das Material für seine Sets. Er entwirft für ein paar Clubs die Inneneinrichtung, installiert kleine CCTV-Systeme zwischen Tresen und Tanzfläche. Er hat den Dreh raus, aktuelle Themen zu verarbeiten – nicht zu politisch, dafür aber irgendwie innovativ, zukunftsweisend und ästhetisch überzeugend. Mikael ist ein Paradebeispiel für die Creative Industries zwischen New Economy und Kunstwelt.
    Der ganz große Durchbruch lässt auf sich warten, Mikael wird lediglich von einer kleinen Galerie vertreten und hat bislang noch nie in einem großen Kunstmuseum ausgestellt.Aber immerhin wird er regelmäßig zu Festivals eingeladen und bekommt Aufenthaltsstipendien in der ganzen Welt. Ganz unerfolgreich ist er also nicht, doch jetzt braucht er ein bisschen Zeit, um sich darüber klarzuwerden, wie es weitergehen soll.
    Für das New-York-Stipendium muss Mikael sich mit einem konkreten Vorhaben bewerben. Sein Projekt heißt »Die Freiheit der Angst« und beschäftigt sich mit den Folgen von 9/11. Ihn interessiere besonders, so schreibt er im Erläuterungstext, wie die Angst vor dem Verlust der Freiheit zum Verlust der Freiheit führen kann.
    Er wird zum Auswahlgespräch eingeladen. Die Jury besteht aus drei Prototypen der Kunstszene: einer bekannten Kuratorin, die in mittelgroßen Institutionen schon häufig gesellschaftskritische Kunst gezeigt hat; einem Professor von einer Kunsthochschule, der zeitgenössische ästhetische Theorie unterrichtet; und einem einflussreichen Galeristen.
    Mikael beginnt seine Präsentation mit einer kleinen Performance. Er kündigt an, die Juroren während des Gesprächs überwachen zu wollen, und baut ein CCTV-System auf. Ein Fotostativ mit einer Überwachungskamera, wie man sie in jedem Elektrogeschäft kaufen kann und die er direkt auf die Juroren ausrichtet. Das Bild wird auf einen Schwarz-weiß-Monitor übertragen, den Mikael vor die Juroren auf den Tisch stellt.
    »Jetzt können Sie sehen, was ich sehe. Das ist nur fair. Sie haben sonst ja keine Ahnung, was für ein Bild Sie abgeben. Wir heben die Asymmetrie unserer Beziehung auf. Ein bisschen zumindest.«
    Er packt ein zweites Kamera-Monitor-Set aus und baut es so auf, dass er nun auch sich selbst beobachten kann.
    »So. Das ist jetzt das Gegenteil von Überwachung. Wir haben auf der visuellen Ebene eine symmetrischeBeobachterperspektive. Und wir wissen, dass wir vom anderen beobachtet werden. Vielen Menschen ist nämlich gar nicht bewusst, in welchem Ausmaß sie überwacht werden. Und erst recht wissen sie nicht, wie ihr Überwachungsbild eigentlich aussieht. Das sind so die Themen, die mich beschäftigen.«
    Mikael atmet durch. Keine Fragen. Er überlegt, wie er weitermachen soll. Am besten mit Detailwissen glänzen, die Jury überzeugen, dass er im Thema drin ist.
    »New York ist derzeit der Überwachungs-Hotspot, noch mehr als London. Seit dem Anschlag auf das World Trade Center wurden allein im Financial District rund um die Wall Street über viertausend neue Kameras installiert. Das ist echt viel. Zu viel. Ich bin jetzt mit der New York Civil Liberties Union in Kontakt, die organisieren Proteste dagegen. Vielleicht kann ich mich da irgendwie einbringen.«
    »Und wie soll Ihre Arbeit dann aussehen. Wie wollen Sie vorgehen?«, unterbricht ihn der Kunstprofessor.
    »Das weiß ich noch nicht so genau. Kann ich von hier aus auch noch nicht sagen. Um das zu entscheiden, hätte ich in New York dann ja ein Jahr Zeit. Grundsätzlich kann ich mir mehrere Wege vorstellen.
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