Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Erez-Israelis, für die Etrogim – die Paradiesäpfel, aus dem Land Israel, die wir waren, für die süßen und stacheligen Kaktusfeigen, zu denen man uns gemacht hatte, gegen die hässlichen und irrenden Diaspora-Juden, ihnen wollte ich Kaktusfeigen, Brause und Schakalgeheul entgegensetzen. Und ich dachte an einen, der mir gesagt hatte: Damals, als man ihn und die anderen angefleht habe, nach Erez Israel zu kommen und sich zu retten, sei der britische Hochkommissar für die Juden gewesen, und die Deutschen hätten sie aus Europa weghaben wollen, weil sie sie als stinkende und minderwertige Rasse betrachteten, und es habe ein jüdisches Auswanderungsamt in Wien gegeben, mit Eichmann als Fachmann für Juden, und sie hätten weggekonnt, aber nicht gewollt. Und als ich von den Lagern hörte, hatte ich gesagt, gut so, soll’s ihnen eine Lehre fürs nächste Mal sein, und dann war ich vor meinen eigenen Worten erschrocken und in Tränen ausgebrochen.
    Ich war töricht wie die meisten von uns und dachte mir, vielleicht weiß ich nicht viel über meinen Vater. Wieso hat er keine Familie hier, außer einer Schwester und der Cousine in Safed, die ein kleines Hotel dort auf dem Höhenzug betreibt. Dabei hatte es doch mal massenweise Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen gegeben. Ich ging zu seinem Busenfreund Ernst, der in der Jehoasch-Straße wohnte, und erzählte ihm von dem Mann, der mein Vater war. Ich wusste, dass Ernsts Frau Lilli, die sanfteste aller Frauen, mal in meinen Vater verliebt gewesen war und erin sie und dass alle Welt wusste, dass er nur sie und keine andere Frau liebte. Ich kann mich nicht erinnern, wieso ich das mit sechzehn Jahren wusste, aber ich wusste es. Der Umstand, dass letztlich Ernst diese Lilli geheiratet hatte, war den Minderwertigkeitskomplexen meines Vaters Mosche, des Ostjuden, geschuldet. In seinem schrecklichen Drang, nur das Scheitern zu ehren, gepaart mit seiner Liebe zu scheiternden Helden, und weil er die Geige nicht so virtuos wie Bronislaw Huberman spielen konnte und an sich selbst nur die höchsten Ansprüche stellte, aber wusste, dass er weder echte Größe besaß noch erreichen konnte, und weil er, wie so viele, meinte, weniger respektabel zu sein als Ernst, der als Sohn reicher Eltern in Berlin geboren war, glaubte er, seiner über alles geliebten Lilli nicht ebenbürtig zu sein, und so hatte dieser liebe Potz, mein Vater, seine einzige Liebe Lilli seinem geliebten Freund Ernst überlassen.
    Ernst sagte mir, was mein Vater Mosche mir nie erzählte: Es hatte diese Verwandten in Tarnopol tatsächlich gegeben. Die meisten wohnten dort in der Baron-Hirsch-Straße, bis sie alle, sechzig Männer und Frauen, eines Tages in einen nahen Wald getrieben und gezwungen wurden, eine Grube auszuheben, und als sie mit der Grube fertig waren, wurden sie mit Schüssen hineingestoßen und in der Grube noch weiter beschossen und übereinanderliegend begraben. Aber einer, der Sohn von Onkel Menasche, soll sich gerettet haben und über Syrien ins Land gekommen sein, und der Mann, den ich gesehen hatte, sei vielleicht dieser Cousin gewesen. Ich war traurig und beschämt, dass mein Vater dem Mann keine Unterkunft angeboten und sich auch nicht erkundigt hatte, wo er denn sonst bleiben würde. Ernst sagte, der Mann habe es meinem Vater übelgenommen, dass er nicht dortgebliebenwar. Dass er ihnen nicht die Treue gehalten hatte und nicht mit auf dem Leichenhaufen gelandet war.
    Kurz darauf hörte ich von Seev Schiffmann, einem guten Bekannten meiner Mutter, dass der Mann Arbeit in den Raffinerien von Haifa gefunden hatte. Und während der Unruhen einige Zeit später erfuhren wir, dass er bei dem arabischen Überfall auf die Raffinerien umgekommen war, und mein Vater sagte knapp: Der Mann, nach dem du gefragt hast, ist ermordet worden. Er hatte überlebt, als seine Verwandten starben, um hier in Erez Israel zu sterben.
    Einen Stock unter uns wohnte Frau Kremski. Sie hatte vor ein paar Tagen Besuch von einer alten Frau bekommen, der ich im Treppenhaus begegnet war. Als ich sie fragte, ob ich ihr Licht anschalten sollte, sah sie verwirrt aus und sagte, ich versteh kein Hebräisch, und fragte, warum? Ich sagte, darum. Sie fragte, was heißt darum, ist darum gegen warum? Ich antwortete, warum ist das Gegenteil von darum. Sie sagte, ich versteh hier gar nix. Unsere Nachbarin, Frau Kremski, mochte mich, und einmal habe ich ihr sogar ihren verstorbenen Ehemann nach einem alten Foto gemalt, das bei ihr an der Wand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher