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1948 - Roman

1948 - Roman

Titel: 1948 - Roman
Autoren: Aufbau
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aus dem Vorbereitungskurs der Palmach für vernachlässigte Tel Aviver Jugendliche imKibbuz Ayelet Hashachar, aus den Moschawim Kfar Malal, Kfar Yecheskel und Nahalal, aus Haifa, Kfar Saba, Gedera, dem Jerusalemer Viertel Musrara. Ohne einen Groschen in der Tasche schlichen wir uns hier und da ein, und wir gingen und sangen, wie wir am Bab el-Wad sterben würden, sangen mit Sehnsucht aus voller Brust. Als die Dussel, die wir damals waren, dachten wir tatsächlich, es wäre herrlich, am Bab el-Wad zu sterben, und stellten uns vor, wie die Araber Panzerabwehrgeschosse auf uns abfeuern würden.
    Von »schöner Haartolle und Gestalt« waren wir zwar, aber klug waren wir nicht. Kluge Menschen gehen nicht mit siebzehn, achtzehn oder auch zwanzig Jahren freiwillig in den Tod. Kluge Menschen geben bestehenden Staaten den Vorzug vor erträumten. Kluge Menschen rackern sich nicht ab, um neue Staaten in einem heißen Landstrich zu gründen, der von arabischen Einwohnern wimmelt und inmitten feindseliger arabischer Staaten liegt.
    Zu Kampf und Tod kam ich geradewegs vom Kurs neun der Paljam, wo wir Schwimmen, Knotenschlagen und Bootsführen gelernt hatten. Im Lehrgang hatte ich nur eine einzige Schießübung in den Dünen absolviert, und dann – nichts wie ab in den Krieg. Nach dem ersten Gemetzel im Kibbuz Hulda wusste ich mehr über den Krieg als meine Vorgesetzten. Man muss schließlich ein junger Irrer sein, um einen selbstmörderischen Krieg für jemanden zu führen, den man nicht kennt, und für eine Sache, von deren Ausgang man keinen blassen Schimmer hat. Erst nach dem Krieg stellte sich heraus, und nicht immer zur allseitigen Freude, dass wir einen Staat für Tote gegründet hatten, die nicht mehr in ihm leben würden.

3
    Eines schönen Tages stand ein Mann vor unserer Wohnungstür in der Ben-Jehuda-Straße. Er klingelte nicht, sondern pochte heftig an die Tür. Ich lugte durch den Spion, sah aber niemand, spähte angestrengter, und einen Moment später tauchte vor dem Guckloch tatsächlich ein Mann auf, dessen Gesicht zerquetscht aussah. Erschrocken öffnete ich ihm. Jetzt stand er aufrecht. Als ich ihn vorher nicht sehen konnte, hatte er sich wohl weggeduckt. Seine verblichene blaue Schiebermütze war verrutscht. Er wirkte blass. Seine Augen waren erloschen. Als er mich erkannte, verzog er ärgerlich den Mund, hatte dabei aber einen schelmisch-schwermütigen Funken in den Augen, wie ich ihn einmal auf dem Gesicht eines Jungen, der mit erhobenen Händen dastand, in einem Film über das Warschauer Ghetto gesehen hatte. Mit seiner erbärmlichen Verschmitztheit wirkte er besiegt, aber auch stark. Seine Augen verengten sich zu einem Schlitz – und dann fiel er mit einer ruckartigen Bewegung, die aussah, als wolle er sich unter die Fußmatte verkriechen, auf alle viere wie ein Hund.
    Die Englischlehrerin Fräulein Gross, die gerade ihre zweite Rasur des Tages beendet hatte, hörte das Geräusch. Sie öffnete ihre Tür neben unserer und schrie beim Anblick des ihr bedrohlich aussehenden Mannes: »Ich hab euch ja gesagt, dass die Nazis kommen!« Und wie immer, wenn die Nazis kamen, rannte sie los, um sich im Stromkastenunten im Hausflur zu verstecken. Ihr Vater hatte in Afrika Löwen gefangen, um deutsche Zoos damit zu bestücken. Er wurde in der Kristallnacht totgeschlagen, als er im großen Stromkasten einer Eckkneipe in der Berliner Fasanenstraße entdeckt wurde.
    Der Mann vor der Tür wandte sich um und warf ihr einen kurzen, boshaften Blick zu, und ich sah, dass ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Mit halb zugekniffenen Augen verfolgte er ihren hastigen Abgang, aber sie rannte doch nicht ganz runter bis zum Stromkasten, sondern kam wieder rauf und floh in ihre Wohnung, um von ihrem Balkon aufs Meer zu blicken und wieder mal davon zu träumen, nach Berlin zu schwimmen.
    Der Mann öffnete nun die Augen, kam vom Boden hoch, senkte den Blick noch tiefer und fragte mich barsch auf Hebräisch mit jiddischem Anklang, ob ich der Sohn des »Halunken« sei. Ich sagte, ich sei der Sohn von Mosche. Er sagte, das frag ich dich doch, Junge, und Jiddisch kannst du sicher nicht. Stimmt, sagte ich. Er sagte, hierzulande ist man als Erstes drangegangen, die Juden umzubringen, mehr noch, als sie’s dort getan haben. Ich erklärte ihm, es täte mir leid, dass ich kein Jiddisch könne, und er lächelte süßlich und sagte, du sprichst es nicht, aber sag mal, träumst du nicht auf Jiddisch? Ein Jude kann doch gar nicht anders als in
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