Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
181 - Der ewige Turm

181 - Der ewige Turm

Titel: 181 - Der ewige Turm
Autoren: Jo Zybell
Vom Netzwerk:
Ende des langen Winters nach dem Kometeneinschlag der Erste Turmherr mit seiner Rotte den ewigen Turm eroberte und sich zum Kometenfürsten erklärte, lebten noch an die hundert Stämme in Ka'El.
    Damals ragten noch Dutzende von Hochhausruinen aus dem Todesdreieck. Die Überschwemmungen in den folgenden Jahrzehnten dezimierten die Einwohner drastisch, und die vielen Erdbeben zerstörten die Mehrzahl der ohnehin schon stark beschädigten Gebäude. Der Erste Turmherr und Kometenfürst weihte sich und den ewigen Turm dem Gotte, und es hieß, der ewige Turm würde stehen bleiben, bis es dem Gotte einst gefiel, zur Erde zurückzukehren, um der Zeit des Kometen und der Wildnis ein Ende zu bereiten.
    Reezar und Karzyan waren die ältesten im ewigen Turm geborenen Männer. Ihr Urgroßvater war einst als junger Bursche zu den Turmherren gestoßen und rasch zum Kometenfürsten aufgestiegen. Damals lebten noch fast dreißig Stämme in Ka'El. Als Reezar, der ältere der beiden Brüder, geboren wurde, waren es immerhin noch dreiundzwanzig. Reezar war es gewesen, der erkannt hatte, wie eng die Zukunft der Turmherren mit der Existenz der anderen Stämme verknüpft war. Also begann er, die Unterdrückerknute weniger tödlich, dafür aber perfider und grausamer zu schwingen.
    Aus den ersten sieben Ebenen der Bankerruine, die oberhalb der Baumwipfellinie lagen, schlugen inzwischen die Flammen. In den Ebenen darüber sahen Reezar und seine Türmer Menschen, die vor Rauch und Feuer zur Spitze der Ruine flohen. Der Wind wehte das Gebell der Kampfhunde herüber, die den Flüchtenden hinterher jagten. Unten, aus dem Haupteingang, zerrten Reezars Türmer schon die ersten Gefangenen: Frauen und Knaben. Reezar hatte befohlen, sämtliche Angehörigen des Stammes zu töten – nur die jungen Frauen des Bankerstammes und sämtliche ihrer Knaben, denen noch kein Bart wuchs, wollte er lebend.
    »Ein Grund zum Feiern!«, rief der Kometenfürst.
    »Öffnen wir ein Fass! Ruft die Mütter herunter!« Ein paar seiner jüngeren Kämpfer und einige Frauen verließen den Raum. Reezar, Karzyan und der blutjunge Belzary ließen sich um das Feuer nieder. Erst als sie saßen, nahmen auch die anderen Turmherren Platz. Zwei weitere Feuer wurden entzündet, vier weitere Wildhunde geschlachtet. Bald erfüllte Gelächter und Palaver von fast hundert Männern die Räume. Die andere Hälfte der Turmherren war zum Vernichtungskrieg gegen die Banker unterwegs oder befand sich auf Streifzügen in der Wildnis von Ka'El.
    Die vier Krieger kehrten mit den Frauen zurück, die nun Fässer auf den Schultern trugen. Der Kometenfürst ließ sie aufstellen und öffnen. Bald floss der Branntsaft in Strömen. Drei Abgesandte der Mütter kamen und holten deren Anteil vom Braten und vom berauschenden Getränk.
    Diese Frauen gehörten zu den wenigen Sklavinnen, die hier, im ewigen Turm, mindestens einen Sohn geboren hatten. Ihnen schenkten die Turmherren das Leben, auch wenn sie alt wurden. Sie hausten in den oberen Stockwerken des ewigen Turmes, also über den Wolken, und durften das Gebäude nicht verlassen, solange sie lebten. Kaum hatten die Mütter ihre Ration in Empfang genommen, huschten sie wieder aus dem Raum.
    Bald hörte die Festgesellschaft Lärm aus dem Treppenhaus: Viele Schritte, das Gejammer der gefangenen Frauen, das Plärren von Kindern und das Triumphgeheul der siegreichen Türmer. Reezar hob seinen Becher. »Heil den Turmherren von Ka'El!«, schrie er. »Hört ihr den Lohn eurer Tapferkeit sich nähern? Feiert den Raubzug, ihr Gesegneten des Gottes! Feiert eure Herrschaft über die Wildnis der Ruinen von Ka'El!«
    ***
    Sie badeten in den Brunnen im Innenhof der Moscherune, als die Jäger zurückkamen. Zwei Tage zuvor waren drei Mädchen spurlos verschwunden, und drei Mädchen zerrte man nun aus der Moscherunenhalle in den Hof hinein. Das Palavern, Kichern und Schwatzen verstummte nach und nach. Sayona hielt den Atem an, Ballaya griff nach ihrer Hand.
    Alle drei Mädchen waren gefesselt. Sie zogen die Schultern hoch und starrten auf das Mosaik des Innenhofbodens. Eines hatte ein zugeschwollenes Auge, und ein zweites blutete aus einer Platzwunde an der Unterlippe. Sie taten Sayona Leid, und zugleich war sie wütend auf die wieder eingefangenen Flüchtlinge.
    Vielleicht, um ihre eigene Scham nicht spüren zu müssen.
    Die Mütter stellten sich vor die Brunnen und breiteten ihre Gewänder wie Vorhänge aus, um ihre badenden Töchter vor den Blicken der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher