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1743 - Digital-Gespenster

Titel: 1743 - Digital-Gespenster
Autoren: Unbekannt
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ich Kinder mag, gebe ich für gewöhnlich eine blöde Antwort: „Kommt drauf an - gesotten, gegrillt, gekocht?" Der Scherz kommt immer an, und danach verschont man mich mit solchen Fragen. Tatsächlich mag ich keine Kinder, man frage mich nicht, warum - vielleicht, weil sie so reizend sind.
    Und dieses Gör war von der ganz besonders reizenden Sorte. Es trug ein vorn zugeknöpftes, enges Kleid aus schwarzem Stoff, dazu schwarze Schuhe und Strümpfe. Die Haare waren zu zwei langen, ebenfalls schwarzen Zöpfen geflochten und hingen bis fast zum Nabel herab. Das Gesicht war sehr glatt und hellhäutig, und darin wurde ich von zwei dunklen, sanft blickenden Augen gemustert. Alles in allem sah die Kleine aus wie ein sanfter Todesengel, wirklich hübsch.
    „Hallo", antwortete ich.
    Es war nicht zu übersehen: Das Mädchen hatte Angst. Und zwar recht große Angst, aber das lag offenbar nicht an mir, obwohl ich nur ein bißchen mit den Augen zu rollen brauche, um Kinder normalerweise zum Kreischen und Weglaufen zu bringen. Nein, die Kleine hatte offenbar vor etwas anderem Angst, und zwar so sehr, daß sie mich angesprochen hatte.
    „Wirst du mir helfen?" fragte sie.
    „Probleme mit der Lernsyntronik?" fragte ich zurück.
    Ich hatte selbst mehr als genug Sorgen, da mußte ich nicht auch noch den Schutzheiligen für dieses Mädchen spielen. Sie mochte zwölf sein, wirkte aber älter.
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Nein", sagte sie schnell. „Aber in meinem Trivideo ist einer, der schreit immerzu."
    „Du solltest dir vielleicht keine politischen Sendungen ansehen", schlug ich vor.
    Metzelfilme, in denen kreischende Opfer genüßlich in Einzelteile zersägt wurden, konnte sie schwerlich meinen; bei solchen Sendungen sorgte die syntronische Kontrolle dafür, daß keine Kinder zuschauen konnten, selbst dann nicht, wenn die Eltern anwesend waren. Es sei denn, die Kleine war selbst so schlau gewesen oder hatte einen cleveren Freund gefunden, der die Syntronik überlistet hatte.
    „Hab’ ich auch nicht", sagte sie. „Es ist ein Film über Kinder, und das Mädchen schreit immerzu. Kannst du nicht machen, daß sie damit aufhört? Es macht mir angst."
    „Dann schau nicht hin", wies ich sie unwillig an. „Suche dir ein anderes Programm."
    „Geht nicht", sagte sie. „Sie schreit nämlich überall, auf allen Bändern."
    Kinder lügen ausgesprochen selten, das unterscheidet sie von den Erwachsenen, die meist sich selbst und allen anderen die Hucke voll schwindeln, was sie doch für tolle Menschen sind. Kinder erzählen das, was sie für die Wahrheit halten: Sachlich mag das Blödsinn sein, aber sie schwindeln nicht.
    Irgend etwas mußte also dran sein an dieser Geschichte von dem Geschrei aus dem Trivideo. Aber war das meine Sache? Wozu gab es Eltern?
    „Wo sind denn deine Eltern?"
    Die Kleine deutete mit dem Daumen nach unten.
    „Subaqua-Party", sagte sie.
    Vor ein paar Jahren hatte irgendein Sender einmal die These aufgestellt, die meisten Eltern wüßten gar nicht, wo sich abends ihre Kleinen herumtrieben. Die Reporter hatten während der Sendung hundert Kom-Anschlüsse zufällig anwählen lassen - und in der Mehrzahl Kinder angetroffen, die keine Ahnung hatten, wo ihre Eltern sich gerade aufhielten. Typisch.
    „Kommst du? Es ist nicht weit!"
    Sie faßte meine Hand. Normalerweise ist meine Pranke warm und ziemlich feucht. Diese Kinderhand war kalt und nahezu naß. Wenn ich von da auf ihre Gefühle zurückfolgerte, besaß sie eine bemerkenswerte Selbstbeherrschung.
    Ich überlegte. Für dieses Jahr 1218 NGZ hatte ich noch keine gute Tat zur Beruhigung meines schläfrigen Gewissens getan. Warum also nicht?
    Die Aussichten für den Rest des Jahres waren ohnehin lausig. Und verpetzen würde sie mich wohl auch nicht, wenn ich mich ausnahmsweise freundlich zeigte.
    „Geh voran!" brummte ich und stapfte hinter ihr her.
    Sie führte mich an einer Reihe von Läden vorbei, die um diese Tageszeit geschlossen waren. Die Geschäfte mit Betrieb rund um die Uhr lagen auf separaten Etagen, um den Bewohnern der Wohnbereiche einen ruhigen Nachtschlaf zu garantieren. Ich konnte einen Friseurladen erkennen, der sich Skalp-Skulpturei nannte und wohl auch so arbeitete, dann passierten wir eine - geschlossene - Kneipe, die sofort Trockenheit in meiner Kehle erzeugte. Danach passierten wir eines der zahlreichen Fitneß-Institute, die mich immer gern als Werbeträger verwendet hätten, für ein Vorher-Nachher-Bild, wenn sie nur hätten jemand
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