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1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 Teil 1 - Der letzte Alchimist
Autoren: Mary Gentle
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Wahrheit.«
    Die Sonne brannte auf uns herab. Ich wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht. Soll Mylord Cecil nicht nur einen Bericht, sondern ruhig auch Signora Caterina bekommen! Das würde mich zumindest amüsieren. Mylord Cecil jedoch würde das Lachen wohl im Hals stecken bleiben, sollte er sich einer freundlichen, aber vollkommen verrückten Nonne gegenübersehen.
    Dennoch konnte sie nach wie vor auch eine weitere von Fludds Fallen sein, und sie würde auch hier sein, wenn Cecils König hier eintraf …
    Ich legte die Hände auf die Knie. »Sagt mir, Schwester Caterina, warum wollt Ihr die Zukunft ändern? Oder wollt Ihr das gar nicht? Und wenn Ihr und Doktor Fludd die gleichen ›Berechnungen‹ durchführt, stimmt Ihr dann nicht überein?«
    »Was jene Dinge betrifft, die zeitlich näher liegen? Doch, das tun wir. Beide haben wir Krieg in Europa und einen Bürgerkrieg in England errechnet. Wir unterscheiden uns nur in der Frage, was wir deswegen unternehmen wollen.« Sie beschattete die Augen mit der Hand, als sie zu mir hinaufblickte. Die Sonne war schon weit genug über den Hügel gestiegen, um sie zu blenden. Ihrer blassen Haut nach zu urteilen, schien sie die Sonne überdies nicht allzu oft zu Gesicht zu bekommen. »Der Londoner Meister will den Bürgerkrieg in England so lange wie möglich hinausschieben, eine Dynastie von autokratischen Stuartkönigen aus seiner ›Schule‹ etablieren und spätere Kriege in Europa nutzen, um Wissenschaft und Handel zu seinem Vorteil weiterzuentwickeln. Wenn der Bauernaufstand dann in vierzig Jahren kommt, kann sein Heinrich Stuart ihn mit Leichtigkeit niederschlagen.«
    Sie zerbröselte ein Stück Birkenrinde zwischen den Fingern.
    »Danach wäre es in England geradezu … idyllisch, Valentin. Wissenschaft und Handel würden gemeinsam weiterwachsen und ein goldenes Zeitalter heraufbeschwören, wo es niemandem mehr an etwas mangelt. Aber Europa … Nun, Ihr wisst, wie es in Frankreich nach mehreren Generationen von Religionskriegen aussieht; dann würde es in ganz Europa so aussehen. Irgendwann würde England dann Europa erobern und auch andere Territorien, und sie würden ein Seereich errichten, wie John Dee es sich vorgestellt hat, aber alles unter absolutistischen Herrschern. So würde der Stuartkönig in einem halben Jahrtausend lediglich den Befehl geben müssen, den unheiligen Kometen vom Himmel zu fegen. Und damit wäre der Untergang verhindert, der uns droht.«
    »Wohl kaum ›uns‹«, bemerkte ich und blinzelte ob des Ausmaßes ihrer Vision. Normalerweise denke ich nicht mehr als ein, vielleicht zwei Jahre im Voraus. Ich bedauerte es fast, sie wieder auf die Erde zurückholen zu müssen. »So sehr wir auch auf ein langes Leben hoffen mögen. Fünfhundert Jahre sind doch ein wenig viel.«
    Sie erinnerte mich an einen populären Prediger bei Hofe im Jahre 1602, der viel von seinen Offenbarungen gesprochen und Heinrich IV. Edelleute sehr amüsiert hatte, als er sie für ihre Sünden tadelte, da das Ende der Welt nahe sei. Ob es nun Glück ist oder nicht, dass das Ende noch fern ist, überlasse ich anderen zu beurteilen.
    »Das klingt utopisch«, fügte ich hinzu und wurde mir des warmen Winds bewusst, der mir ins Gesicht wehte und mein Haar zerzauste. Es gibt Augenblicke, da verschafft das bukolische Leben einem Zufriedenheit. Ich blickte zu der kleinen Frau hinunter und beschloss, für den Augenblick, mit ihren Philosophien zu spielen. »Utopisch. Aber, Signora … Ihr wollt das verhindern?«
    Sie verschränkte die Hände in ihrem Schoß. »Ein englisches Imperium, und Ihr fragt noch?«
    Ich lachte leise. Ich fühlte mich nicht bemüßigt, das Land zu verteidigen, dessen Fliegen ich mir gerade aus dem Gesicht wedelte. »Signora, Ihr und ich, wir werden beide schon Jahrhunderte vorher sterben. Warum sollte uns das kümmern?«
    »Ah, Ihr lacht.« Eine silberne Locke fiel ihr ins Gesicht, und sie machte sich nicht die Mühe, sie wieder hinters Ohr zu stecken. »Valentin, Ihr werdet bemerken, dass ich nicht um König Heinrich trauere. Ich trauere um den Tod keines Königs.«
    Ich hätte etwas Passendes in Bezug auf die Fürsten der italienischen Halbinsel dazu bemerken können, doch ich verzichtete darauf.
    »Ja«, sagte sie leise, »Robertos Zukunft wird den Kometen verhindern. Aber der Preis dafür ist, dass alle Länder über Jahrhunderte hinweg unter der Herrschaft absolutistischer Herrscher stehen würden! Und nach dem Kometen werden sie ihre Macht nicht
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